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19.
Jahrhundert,
Jahrhundertbuch der Gottscheer, Dr. Erich Petschauer, 1980.
Zu Beginn des Zeitraumes schien es, als sollte sich die Blütezeit des
"Ländchens" fortsetzen und vollenden, seine kulturelle Eigenart
und das Charakteristische seines Menschenschlages unberührt bleiben.
Hundert Jahre später wird jedoch das Gottscheerland in allen seinen
Erscheinungsformen, wie wir sie im Augenblick der Jahrhundertwende vor uns
sehen, nicht mehr bestehen. Zwar werden es die Gottscheer noch bewohnen,
allein die kulturellen Veränderungen, die zivilisatorischen und technischen
Fortschritte, der verkehrsmäßige Anschluß an das Land Krain
und dadurch die weitgehende Aufhebung der geographischen Abgeschiedenheit
und - das nicht zuletzt - der zweischneidige Nationalismus werden die Riegel,
hinter denen die Gottscheer ihre Traditionen hüteten, aufgebrochen
haben.
Versuchen wir, Gang und Wandlung dieses Jahrhunderts, das mit der ganzen
Welt auch das Gottscheer Völkchen von Grund auf verändert hat,
in großen Zügen nachzuzeichnen. Zuerst bemerken wir im "Ländchen"
einen einzigartigen psychologischen Vorgang: Seine Bewohner, namentlich
die Gottscheerinnen, verlieren allmählich ungewollt und unwissentlich
die Mitte zwischen dem Neuschöpfen und Nachschaffen ihrer eigenen Volkskultur
und den steigenden kulturellen Einflüssen ihres Gesamtvolkes. Dieses
hat es im begrenzten Umfang immer gegeben, doch nun greift es auch auf das
soziale Denken über. Das ganz langsame Durchsickern der städtischen
Zivilisation durch die Außenhaut der landschaftlich gebundenen Überlieferungen
bewirkt eine heimliche innere Abkehr, fast eine Mißachtung des Bäuerlichen.
Was von außen kommt, beginnt als schöner, vornehmer und "besser"
zu gelten. Übrigens, nicht nur in Gottschee.
Durch 14, 15 Menschenalter war es der Gottscheerin gelungen, jene angedeutete
kulturschöpferische Mitte, gleichsam auf der Schwelle ihres Hauses
stehend, auszubalancieren. In wenigen Jahrzehnten kamen ihr nun in bedenklichem
Maße Freude und Fähigkeit abhanden, als junges Mädchen Erbin,
als reife Frau und Großmutter aber Erblasserin der überlieferten
Volkstumsgüter zu sein. Es wird sich allerdings zeigen, daß man
ihr dieserhalb keine Schuld zumessen und keinen Vorwurf machen kann, ebensowenig,
wie sie für die fast fluchtartige Auswanderung der Gottscheer in den
achtziger Jahren nach den Vereinigten Staaten von Amerika verantwortlich
ist.
Das 19. Jahrhundert begann noch durchaus "männlich". Napoleon
legte sich weite Teile Europas zu Füßen, auch das "Ländchen"
wurde von seinen Truppen erobert und der neu gebildeten Provinz Illyrien
eingegliedert. Die Gottscheer leisteten 1809 Widerstand und protestierten
heftig gegen die unmenschlich hohen Steuern. Da sie kein Verständnis
fanden, erschlugen sie in ihrem gerechten Zorn den Stadtkommandanten. Sie
waren so erbost, daß sie dem französischen Offizier nicht einmal
ein Friedhofsbegräbnis gönnten, sondern seinen Leichnam in eines
der Rinse-Sauglöcher unterhalb von Obermösel warfen. Mit der Erschießung
mehrerer Geiseln und der Freigabe
der Stadt zu einer dreitägigen Plünderung durch die Soldaten waren
sie mehr als hart bestraft. - Die Franzosenzeit blieb glücklicherweise
eine Episode.
In unabsehbaren Zeiträumen und weltverändernd lebte jedoch die
"Romantik". Die zunächst rein geistige Bewegung wurde im
wesentlichen durch den deutschen Dichter und kulturellen Anreger Johann
Gottfried Herder (1744 bis 1803) konzipiert. Was später daraus wurde,
steht auf einem anderen Blatt. Sie löste bei den europäischen
Völkern eine stürmische Begeisterung für die eigenen Kulturleistungen
und -werte aus, die jedoch auf dem politischen Antriebsfeld durch Selbstüberschätzung
und Machtmißbrauch ungleich mehr, ganze Kulturen und Kulturnationen,
zertrümmerte und heute noch vernichtet. Neue Gegensätze wurden
aufgerissen, alte vertieft. Dazu gehörte vor allem der überlieferte
Hang zum Mißtrauen zwischen den Deutschen und den Slawen. In der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts bekam es in zwei streitbetonten Bewegungen,
dem "Pangermanismus" und dem "Panslawismus", Gestalt.
Das politische Fernziel war in beiden Fällen die Errichtung je eines
Großstaates, in dem einmal alle Germanen und das andere Mal alle Slawen
vereinigt sein sollten. Die West- und Südslawen strebten darüber
hinaus die vollständige geistige und gesamtkulturelle Loslösung
vom Deutschtum an. Sie waren überzeugt, daß sie dies nur durch
die Zerstörung der österreichisch-ungarischen Monarchie zu erreichen
vermochten. Wer das Schicksal der Gottscheer anders als unter dieser Zuspitzung
sieht, verzeichnet es.
Im weitesten Sinn gehört es zu den Auswirkungen der Romantik, daß
die Sprachinsel Gottschee im 19. Jahrhundert von drei Seiten entdeckt wurde:
1. von den Gottscheern selbst,
2. von Sprachwissenschaftlern und Volkskundeforschern Alpen-Österreichs
und
3. von der politischen und kulturellen Führung des slowenischen Volkes.
Entdeckt von sich selbst: Das im Entstehen begriffene, noch unfertige Selbstverständnis
der Gottscheer war bis in die Romantik herauf politisch nicht kämpferisch.
Etwa zu Beginn des 19. Jahrhunderts trat es jedoch ebenfalls in eine "Sturm-
und Drangperiode" ein und begann mit der Selbstbewertung und der genauen
Standortbestimmung zum deutschen Volk. Diese Entwicklung setzte bei den
Bürgern der Stadt ein und erzeugte das Bestreben, das Deutsch-Sein
auch zu beweisen. Dem Zug der Zeit folgend, geschah dies durch die Gründung
von Privatschulen mit deutscher Unterrichtssprache. Man nannte sie auch
"Notschulen". Als Lehrkräfte gewannen die Gründer Idealisten,
die als frühere Beamte oder länger dienende Soldaten tätig
waren, wie Personen mit eigener Schulbildung und Begabung.
Von der ersten auf Gottscheer Boden errichteten Volksschule wissen wir bereits
1690. Es dauerte 128 Jahre, bis in Altlag 1818 die erste private Landschule
eröffnet wurde. 1819 folgte Mitterdorf, 1820 schloß sich Obermösel
an. 1822 trat - überraschend früh - Tschermoschnitz dazu, noch
vor Nesseltal und Rieg, die 1829 nachzogen. Verwundert hätte es den
aufmerksamen Leser nur, wenn der Aufbau des Gottscheer Schulwesens nicht
in den aufgeführten Mittelpunktsiedlungen begonnen hätte. 1836
bzw. 1839 begannen Stockendorf und Unterdeutschau den Unterricht. In den
fünfziger Jahren entstanden vier weitere Privatschulen: 1852 Pöllandl,
1854 Göttenitz und Unterlag und 1856 war die Bauerninitiative auch
in Morobitz erfolgreich. Dann stockte für längere Zeit der Gründungseifer.
Die Lehrer fehlten.
Der Schulbesuch
war natürlich noch freiwillig, jedoch nicht unentgeltlich. Der Lehrer
und die Lehrmittel mußte von den Eltern der Schüler bezahlt
werden. Ihre Zahl hielt sich vor allem wegen der weiten Schulwege in Grenzen.
Sie stieg ganz allmählich an. Auf dem Lande hatte man es praktisch
mit reinen Knabenschulen zu tun.
Das änderte sich schlagartig, als 1869 mit dem "Reichsvolksschulgesetz"
die allgemeine Schulpflicht eingeführt wurde. Die Gottscheer Privatschulen
wurden anerkannt. Das Herzogtum besaß daher plötzlich 15 vom
Staat getragene, öffentliche Volksschulen, jedoch keine dem neuen
Gesetz entsprechend ausgebildeten Lehrer. Da die Schulanfänger die
Gottscheer Mundart als Muttersprache verwendeten und das Hochdeutsche
nur mangelhaft beherrschten, sollten die Lehrer nun nach Möglichkeit
geborene Gottscheer sein und eine Lehrerausbildung erfahren haben. Die
Sorge der angesehenen Stadtbürger um den schulischen Fortschritt
des Gottscheerlandes war groß. Sie diskutierten bereits seit Jahren
das angekündigte Schulpflichtgesetz, ohne eine andere Lösung
zu finden, als daß Gottscheer Junglehrer außerhalb der Heimat
ausgebildet werden mußten. Sie besprachen es auch mit dem Wiener
Germanisten, Universitätsprofessor Dr. K. J. Schröer, der schließlich
eine Teillösung vorschlug. Eine Lehrerbildungsanstalt mit einer Vorschule
konnte man begreiflicherweise in Gottschee nicht einrichten, doch die
Gründung eines vierklassigen Untergymnasiums war denkbar. Professor
Schröer hielt sich 1867 und 1869 zu sprachwissenschaftlichen Studien
in der Sprachinsel auf. Sein wichtigster Gesprächspartner war Apotheker
Robert Braune, ein Mann mit hoher humanistischer Bildung und Führungsgabe.
Braune sorgte für die begeisterte Zustimmung zu dem Plan des Wiener
Gelehrten und dieser gab im Unterrichtsministerium die erforderliche Starthilfe.
Am 28. Oktober 1872 wurde das Untergymnasium mit einem Festakt und einem
Festessen aus der Taufe gehoben und der erste Jahrgang eröffnet.
Die Anstalt mußte allerdings zunächst in einem Privathaus untergebracht
werden. Zum Direktor wurde der Lehrer am Obergymnasium in Laibach, Benedikt
Knapp, ernannt.
Dem ersten Jahrgang gehörten 17 Schüler an, davon neun aus der
Stadt, deren Bürger den hilfsbedürftigen auswärtigen "Studenten"
mit kostenlosen Mittagstischen und Quartieren weiterhalfen. 1873 gründete
die Bürgerschaft sogar einen "Unterstützungsfonds".
- Außer Benedikt Knapp (1872 bis 1894) wurde das Gottscheer Gymnasium
in den 46 Jahren seines Bestehens von zwei weiteren Direktoren geleitet:
Peter Wolsegger (1894 bis 1908) und Dr. Franz Riedl (1908 bis 1918). 1907
wurde die Anstalt auf Betreiben des damaligen Bürgermeisters Alois
Loy und mit politischer Unterstützung des Fürsten Karl von Auersperg
(1859 bis 1927) zum Obergymnasium erweitert.
Von ausschlaggebender Bedeutung, insbesondere für das Untergymnasium,
wurden die achtziger Jahre. In Wien entstand 1880 der "Deutsche Schulverein",
der ein Jahr später auch in Gottschee seine Tätigkeit als Schulgründer
aufnahm. In kurzer Zeit entstanden 24 Ortsgruppen, die erste in Gottschee/Stadt.
Zum Vorsitzenden wählten die Mitglieder Robert Braune, zum Schriftführer
Peter Wolsegger. 1881 wurde außerdem die Begabtenauslese für
das Gymnasium auf eine neue Grundlage gestellt:
Der in Prag lebende Großkaufmann Johann Stampfl aus der Gemeinde
Morobitz errichtete die "Johann Stampfelsche Stipendienstiftung"
in Höhe von 100.000 (einhunderttausend!)
Gulden. Aus ihren Zinsgewinnen wurden jährlich 22 Stipendien zu 50,
13 zu 100 und 8 Stipendien zu 200 Gulden an bedürftige und begabte
Gottscheer Buben vergeben. Johann Stampfl, der großherzige Stifter,
1805 geboren, starb nach einem ungewöhnlich erfolgreichen Kaufmannsleben
1890 in Prag.
Seit der Gründung des "deutschen Schulvereins" wuchs das
Gottscheer Volksschulwesen rasch weiter. Allein in den Jahren 1881 bis
1888 entstanden neun einklassige Volksschulen. Eine Vergleichszahl: von
1856 bis 1881 wurde lediglich eine einzige Schule gegründet, jene
in Stalzern (1874). Aus den verhältnismäßig zahlreichen
Gründungen der achtziger Jahre läßt sich nicht nur entnehmen,
daß die Gottscheer mit großem Eifer am Werke waren, sondern
es werden auch die Auswirkungen des Untergymnasiums sichtbar: Jahr für
Jahr wächst die Zahl der Junglehrer, die alten Schulmeister können
abgelöst, die neuen Schulgründungen besetzt werden. Solche wurden
in folgenden Dörfern bzw. Schulsprengeln errichtet:
Warmberg 1881, Maierle und Langenthon 1882, Masern und Schäflein
1883, Hohenegg 1884, Lichtenbach 1885, sowie Steinwand und Unterskrill
1888. Damit war jedoch der Nachholbedarf der Sprachinsel an schulischen
Einrichtungen noch nicht gedeckt. Dies geschah erst mit den nachfolgenden
Gründungen:
Lienfeld 1892, Altbacher 1898, Verdreng und Reichenau 1905, Reuter 1908,
Stalldorf 1909 und Suchen (im Hochtal) 1910. In der Sprachinsel Gottschee
bestanden also 1910 bzw. 1918 beim Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen
Monarchie insgesamt 33 Volksschulen. Jene in den alten Siedlungsmittelpunkten
waren inzwischen um eine Klasse aufgestockt worden. Die Schule in der
Stadt wurde auf fünf Klassen erweitert. Die 1932 entstandene Schule
in Tiefenbach war keine deutsche Gründung mehr, wurde aber natürlich
von deutschen Kindern besucht.
90 Jahre hat es also gedauert, bis das Schulwesen des Gottscheerlandes
so dichtmaschig ausgebaut war, daß jedes Kind unter möglichst
geringen Schwierigkeiten in den Genuß des deutschen Schulunterrichts
kam. Wir dürfen jedoch nicht bei der organisatorischen Seite der
schulischen Entwicklung stehenbleiben. Diese lief parallel mit den gleichartigen
Vorgängen in der ganzen Donau-Monarchie, so, wie das Reichsvolksschulgesetz
von 1869 es angeordnet hatte. In unserer Sprachinsel vollzog sich mit
der Stillung des Bildungshungers jedoch ein kultureller und sozialer Wandlungsprozeß,
der in die Tiefe der Volksseele reichte: Das Eintreten des jungen Mädchens
in die Welt der gesamtdeutschen Kultur und das Heraustreten der Gottscheerin
aus ihren überlieferten sozialen Bindungen als einseitig ausgerichtete
und verpflichtete Bäuerin, Ehefrau und Mutter.
Wie wir hörten, hatten die Gottscheer in die allgemeine Schulpflicht
ihre zwischen 1818 und 1856 ins Leben gerufenen 15 Privatschulen eingebracht.
Die meisten, an sich schulreifen Mädchen hatten zusehen müssen,
wie ihnen die gleichaltrigen Buben vorgezogen wurden. Das Einrücken
in die Schulbank, das gleichberechtigte Lernen-dürfen und -müssen,
das Messen mit den Knaben war für die plötzlich zu Schülerinnen
ernannten Dorfkinder ein elementares Ereignis. Es zählte nicht nur
in der noch eng begrenzten kindlichen Menschlichkeit, sondern auch ihnen
erschloß sich nun die geheimnisvolle Welt des deutschen Lesebuches.
Am Sonntag verstanden sie von Jahr zu Jahr mehr von der Predigt des Pfarrers.
Wir vermögen uns heute wohl nicht mehr die richtige Vorstellung zu
machen,
welchen Stolz etwa ein zehnjähriges Mädchen in der Kirche erfüllte,
wenn es neben der vielleicht fünfunddreißigjährigen Mutter
saß und in seinem ersten Gebetbuch las.
Die Schule gewann die Oberhand über die gottscheerischen Sagen und
Märchen, Lieder und Geschichten - nicht über die Mundart, nicht
über die Kinderspiele. Die bunte Welt der deutschsprachigen Sagen
und Märchen tat sich auf, überstrahlte bald das heimische Erzählgut.
Rotkäppchen, Scheewittchen und die sieben Zwerge, das tapfere Schneiderlein,
der Wolf und die sieben Geißlein und viele andere Kindermärchen
eroberten den Platz der Hexen- und Teufelssagen. Große Heldengestalten,
wie Hermann der Cherusker, Kaiser Rotbart im Untersberg, Kaiser Maximilian
in der Martinswand und später die Rittergeschichten in der Schulbücherei
- das war alles ungeheuer spannend, und das konnte man lesen und immer
wieder lesen. Die Gottscheer Geschichten, Märchen und Erzählungen
waren nirgends aufgeschrieben, ebensowenig wie die Volkslieder. In der
Schule sangen sie nur die hochdeutschen Kinderlieder: Kommt ein Vogel
geflogen, ein Männlein steht im Walde oder sah ein Knab ein Röslein
stehn ...
Und die Mütter dieser ersten zehn- bis fünfzehn Schulmädchen-Jahrgänge?
Sie waren keineswegs unbefangen in die Fußstapfen ihrer Großmutter
getreten, das 19. Jahrhundert hatte auch noch andere fortschrittliche
Dinge anzubieten als nur die Schule. Schon lange bevor das Mädchen
in die Volksschule gehen durfte, war über die älteren Mädchen
und die jungen Frauen der Sprachinsel der "Zeitgeist" gekommen.
Die Vermittlerin zwischen ihm und der ländlichen Frauenwelt war die
Stadt Gottschee. Dort zeichnete sich zuerst das "moderne Leben"
ab. Dort bauten immer mehr Bürger bei steigenden Lebenserfolgen und
einer liberaleren Handhabung der Wirtschaft die Aufgabe der Stadt als
Mittelpunkt des Gottscheerlandes weiter aus. Ihr Selbstbewußtsein
stieg. Gewiß, es senkte sich nicht etwa ein ungewohnter Reichtum
auf die kleine Stadt nieder, doch der Lohn der Emsigkeit ihrer Bürger
reichte aus, um den gestiegenen Lebensstandard im Bau von angemessenen
Geschäfts- und Wohnhäusern Ausdruck zu verleihen. Zunächst
gaben nur einzelne Bauherren, Bürgerfrauen und -mädchen Beispiele
für den neuen Lebensstil. Man eiferte ihnen nach, "die Mode
kam nach Gottschee". Die Männer lasen Grazer und Wiener Zeitungen.
Die Mädchen und jungen Frauen auf dem Lande, namentlich in den alten
Siedlungsmittelpunkten, bemerkten die Veränderung an ihrem "Stadtle"
sehr wohl. Wie überall und zu allen Zeiten suchten und fanden auch
sie ihre Leitbilder. Wie sie sich trugen und anzogen, war nachahmenswert,
bald sogar verbindlich, wollte man nicht als rückständig gelten.
Die feineren Tuche und modischen Schnitte verdrängten das grobe Leinen
der Tracht. Das geschah natürlich nicht mit der Geschwindigkeit des
Modewechsels unserer Jahre, und die alten Frauen hielten an der überlieferten
Tracht fest. Hüte à la mode trugen natürlich nur die
Bürgersfrauen in der Stadt, aber auch dort konnte man noch im 20.
Jahrhundert beim einfacheren Volk das unter dem Kinn geschlungene Kopftuch
sehen. Auch dieses war feiner geworden. Die Männer hatten schon vor
den Frauen auf die Tracht verzichtet.
Der relative Wohlstand, der nicht mit Wohlleben verwechselt werden darf,
und die kulturelle Umstimmung der Jugend in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts, schufen einen weitergehenden Abstand zwischen den Generationen
als früher üblich. Anders ausgedrückt: Die Aufnahmebereitschaft
für das Neue und die Hinneigung zum Überlieferten hielten sich
von Jahrzehnt zu Jahrzehnt weniger die Waage. Die Mundart blieb allerdings
uneingeschränkt das Verständigungsmittel der bäuerlichen
Bevölkerung. In den Bürgerkreisen der Stadt gewann allmählich
eine Mischung zwischen Gottscheer und Wiener Dialekt die Oberhand.
Der allgemeinen Feststellung über den wirtschaftlichen Fortschritt
im "Ländchen" sei gleich das Entstehen und die zeitweilige
Blüte eines für Gottschee typischen Industriezweiges angefügt:
Ein Hausierer aus Lichtenbach hatte in Böhmen mehrere Jahre gut verdient.
Er beobachtete die Lodenweber und rechnete sich aus, daß man daheim
in dieser Branche noch mehr verdienen könnte. 1843 ließ er
von dort einige Webstühle und mehrere Weber nach Lichtenbach kommen.
Das Werk gelang über Erwarten gut. Der geschäftliche Erfolg
sprach sich herum, fand Nachahmer und damit Konkurrenz. In den Nachbarorten
Kummerdorf und Altfriesach, bis nach Reichenau und Nesseltal, Hohenegg
und Obermösel, versuchten sich mit ähnlichem Erfolg weitere
unternehmungslustige Bauern-Fabrikanten. Allein die Lichtenbacher-Gruppe
beschäftigte zur Zeit der Hochkonjunktur bis zu 80 Weber und Hilfskräfte.
Die Schafwolle wurde zunächst nur aus Kärnten bezogen. Steigender
Bedarf zwang die Gottscheer Lodenhersteller, auch auf ungarische und albanische
Lieferanten zurückzugreifen. Die Wolle der albanischen Bergschafe
ergab eine besonders hochwertige und begehrte Qualität des Gottscheer
Lodens. Die Erzeuger vertrieben den Loden meistens selbst und vorwiegend
auf kroatischen Märkten. Die Beförderung der Ware ging jedoch
nicht mit der "Kraxn" vor sich, wie bei den Hausierern bis ins
19. Jahrhundert, sondern auf Pferdefuhrwerken.
Übertriebene Konkurrenz unter den eigenen Landsleuten und die Industrialisierung
der Lodenerzeugung (automatischer Webstuhl) in anderen Ländern verdrängten
gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Gottscheer Loden vom Markt. Seine
Herstellung war zu kostspielig geworden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts
lief auch in Lichtenbach kein Webstuhl mehr. Die meisten Weber hatten
das "Ländchen" verlassen. Dennoch war es in Lichtenbach
nicht still. Das Dorf hatte 1885 eine einklassige Volksschule erhalten
und war damit Schulsprengelort geworden.
Nur geringe volkswirtschaftliche Bedeutung gewann der Versuch, eine Glasindustrie
aufzubauen. Aus Wien kommend errichteten die Brüder Ranzinger 1835
bei Masern im Hinterland eine Glashütte und nannten sie "Karlshütten".
Der dazu nötige Energieträger Holz war reichlich vorhanden,
doch der Rohstoff Kies mußte aus Kroatien herangeführt werden.
Der Abtransport der Erzeugnisse mußte wegen der Bruchgefahr ebenso
umständlich wie kostspielig mit Saumtieren erfolgen. 1856 verlegten
die Betriebsinhaber das unwirtschaftlich arbeitende Unternehmen in die
Stadt Gottschee und bauten es auf dem Gelände des dortigen Braunkohlenvorkommens
auf. Der Erfolg blieb der Familie Ranzinger auch in der neuen Umgebung
versagt. 1888 gab sie endgültig auf.
Das eben erwähnte Braunkohlenflöz in unmittelbarer Stadtnähe
wurde bis 1892 nicht systematisch abgebaut. In diesem Jahre erwarb es
die "Trifailer Bergwerks-Gesellschaft" und nahm den Tagbau in
größerem Stil auf. Der Kauf erfolgte nicht zufällig
1892. Der Käuferin war bekannt, daß die Eröffnung der
Stichbahn Laibach-Gottschee bevorstand. Nicht zu Unrecht rechnete sie
sich bei wesentlich günstigeren Transportbedingungen nennenswerte
Erträge aus. Da die Gottscheer Bauern bzw. ihre zweiten und dritten
Söhne nur geringes Interesse am Bergbau zeigten, holte die Gesellschaft
Knappen aus Krain und Kroatien heran. Um sie zu halten, baute ihnen die
"Trifailer" bescheidene Werkswohnungen. Zeitweilig wurden bis
zu 500 Arbeiter beschäftigt. Diese verhältnismäßig
große Zahl slowenisch und kroatisch sprechender Einwohner veränderte
das Nationalitätenverhältnis in der Stadt Gottschee erheblich.
Kohlenbergwerke Gottschee
Nicht nur die "Trifailer" hatte die Eisenbahn in ihre Kalkulationen
einbezogen. Dies tat auch Fürst Karl von Auersperg. Er war schon
an der Planung und dem Bau der Stichbahn Laibach-Gottschee nicht unbeteiligt
gewesen, setzte darüber hinaus aber noch durch, daß von der
Station Großlupp (Grosuplje) ein Schienenstrang nach Rudolfswerth
(Novo mesto) und Straza abgezweigt wurde. Diese Nebenstrecke sicherte
dem Fürsten von Auersperg den Abtransport seiner im großen
Stil geplanten Holzindustrie im auerspergischen Revier "Hornwald".
Herzog Karl hatte beim Bahnbau nicht nur an sich gedacht. Er und Bürgermeister
Alois Loy in Gottschee/Stadt fanden die persönliche Unterstützung
des Kaisers Franz Joseph I. Der Monarch wußte um die enge Verbindung
des Hauses Habsburg mit dem uralten Adelsgeschlecht der Auersperg. Sie
hatten der Monarchie eine unabsehbare Reihe von Politikern, Militärs
und Diplomaten gestellt. Diese Verbindung war so familiär, daß
beispielsweise der junge Prinz Karl von Auersperg zum Spielgefährten
des unglücklichen Kronprinzen Rudolf von Habsburg ausgewählt
wurde. Trotz seiner jungen Jahre war er bestrebt, mit diesem Bahnbau den
Gottscheern den Anschluß an das Eisenbahnnetz Krain und der österreichischen
Alpenländer zu schaffen.
Die Stichbahn war jedoch nicht die erste "fahrende" Verbindung
des "Ländchens" zur großen Welt. Schon 1856 richtete
der organisatorisch begabte Gottscheer Bürger Anton Hauff eine wöchentlich
verkehrende Pferdepostlinie nach Laibach ein. Wenige Jahre darauf wurde
sie in eine sechsmal wöchentlich trabende Schnellpost umgewandelt.
Anton Hauff wurde der erste Postmeister im Gottscheerland.
Selbst der Hausierhandel bekam unter dem Druck der alles verändernden
Kräfte des 19. Jahrhunderts ein anderes Gesicht. Schon die Postverbindung
nach Laibach hatte für die Hausierer die mühevolle Anreise zum
Hausierrevier beträchtlich abgekürzt. Sie zogen auch nicht mehr
mit der vollbepackten "Kraxn" von Ort zu Ort, sondern waren
in die kleinen und mittleren Städte umgezogen. Dort ging der "Hausierer"
in die Lokale und spielte mit einem kleinen Lotto Südfrüchte,
Süßwaren und allerlei Delikatessen aus. Sein Warenangebot führte
er in einem Bauchladen mit. Nun konnte er ein Lager halten und den Korb
des Abends mehrfach füllen. Warenverkauf war ihm jedoch nicht mehr
gestattet. Wollte der Gast mit dem Gottscheer ein Spielchen machen, so
hielt ihm dieser ein mit 90 holzgeschnitzten Nummern gefülltes Leinen-
oder Ledersäckchen hin. Der Gast setzte, je nach dem Preis seines
Gewinnwunsches, einen bestimmten Betrag ein und zog drei Nummern aus dem
kräftig durchgeschüttelten Beutel. Bevor dies geschah, wurde
bereits vereinbart, welches Spiel gelten sollte: "Drei unter Hundert"
oder "Drei - fünf - sieben". Das bedeutete: Lag die Quersumme
der gezogenen Nummern unter hundert, hatte der Spieler gewonnen, lag sie
darüber, kassierte der Gottscheer den Einsatz. Die andere Spielart:
Befanden
sich bei den gezogenen Nummernköpfen eine Drei und eine Fünf
und eine Sieben, war das Glück auf Seiten des Gastes. - Neben dieser
neuen Art des Wanderhandels auf Grund des alten Privilegs bürgerte
sich im 19. Jahrhundert auch das Maronibraten als Winterbeschäftigung
in den Großstädten ein. Wann die Umstellung des Hausierens
genau erfolgte, läßt sich begreiflicherweise nicht mehr ermitteln.
Es besteht jedoch ohne Zweifel ein Zusammenhang mit einer anderen Entwicklung,
die bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts eingesetzt hatte. Kaufmännisch
besonders begabte Hausierer waren allmählich in das Südfrüchte-Geschäft
hineingewachsen. Sie kontrollierten schließlich über einen
längeren Zeitraum des 19. Jahrhunderts von den Großstädten
der Monarchie aus fast den gesamten Import dieser Branche in Mitteleuropa.
Die neue Art des Hausierens der Gottscheer Bauern ließ sich durch
sie selbst auch leichter überwachen und vor Nachahmung schützen.
Daraus ist zu erklären, daß zwischen 1841 und 1914 keine Bestätigung
des uralten Hausierpatents von 1492 erfolgte.
War die Umstellung auf ein anderes Warensortiment eingetreten, weil in
Gottschee niemand mehr schnitzte. Leinewand herstellte? Vollständig
vergessen war die Holzschnitzerei nicht, doch konnten die Könner
auf diesem Gebiet mit der billigen und scheinbar auch praktischeren Industrieproduktion
nicht konkurrieren. Es verriet daher durchaus Erfindungsgabe, daß
der Gottscheer Wandersmann nun leckere Genußmittel zu einer Tageszeit
an seinen Kunden heranbrachte, da er sie sonst nicht angeboten erhielt,
schon gar nicht über ein lustiges Glücksspielchen, an dem sich
jeden Abend die Stammtischrunden ergötzten. Andererseits ließ
ein findiger Kopf in der Stadt Gottschee es nicht dabei bewenden, daß
das Schnitztalent seiner Landsleute nun brachliegen sollte. Die Holzwarenvertriebsfirma
Loy entstand und regte die Herstellung von Schnitzereien an, die dem Bedarf
und dem Geschmack der Zeit angepaßt waren. Die Holzschnitzerei nahm
Ausmaße an, daß man 1882 eine Fachschule für Holzbearbeitung
errichtete. Auch hier stand Johann Stampfel Pate. Die Firma Loy baute
ihr Sortiment ständig weiter aus und sie beschickte Ausstellungen,
und schließlich ging ihr Angebot weit über die Haushaltsgegenstände
allein hinaus und reichte - nach einem Inserat im "Deutschen Kalender
von Krain" - vom Spazierstock bis zu Kleinmöbeln.
Da aber, wo ein Fortschritt am notwendigsten gewesen wäre, in der
Landwirtschaft, änderte sich in den wesentlichsten Punkten so gut
wie nichts in der Bodenverfassung. Zwar wurde den Bauern 1847 durch die
sogenannten Servitutsrechte eine weitergehende Mitnutzung der Auerspergschen
Wälder zugestanden, wuchs der Umsatz des Holzhandels, griff die eiserne
Pflugschar tiefer in den Humus als die Hacke und der Holzpflug, schafften
die etwas vermögenderen Bauern Bodenentlüftungsgeräte an,
tauchten gegen Ende des Jahrhunderts die handgetriebenen Dreschmaschinen
auf, fand auch die Getreidereinigungsmaschine auf genossenschaftlicher
Basis im Gottscheerland Eingang, wurde im 20. Jahrhundert mehr und mehr
Kunstdünger gestreut - jedoch die Dreifelderwirtschaft und die Zersplitterung
der ohnehin dünnen Ackerkrume in kleine und kleinste Gevierte rührten
sich nicht von der Stelle. Jeder Bauer pflanzte außerdem alles an,
was er zur Ernährung von Mensch und Tier benötigte. Die Zeitverluste
bei der Bestellung und Ernte waren infolge der weiten Verstreuung des
Bodenbesitzes eines Hofes und der Langsamkeit der Zugtiere noch größer
als anderswo, und noch im 20. Jahrhundert waren in kleineren, abgelegenen
Dörfern
das Ochsen- und Kühegespann keine Seltenheit. In den größeren,
stadtnahen Dörfern herrschte bereits das Pferd vor. Zudem war der
Boden nicht nur wegen seines hohen Kalkgehalts, sondern auch wegen unzureichender
Düngung, namentlich der Wiesen, ausgelaugt.
Andererseits lösten die romantischen Impulse von außen, die
seit Jahrzehnten bereits gewohnte Erweiterung der Ernährungsbasis
durch Mais und Kartoffel wie der Glaube, daß eine bessere Zukunft
bevorstehe, im "Ländchen" bereits zu Beginn des Jahrhunderts
eine steigende Geburtenfreudigkeit aus. Der Kindersegen bedeutete aber
auch eine ungeahnte Steigerung der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte,
freilich auch mehr Esser. Es mußte mehr Feldfrucht angebaut und
mehr Vieh gehalten werden. Zwar begann die Bauernschaft sich danach zu
richten, doch in den siebziger Jahren war der noch bebaubare Boden so
gut wie erschöpft, das heißt, das "Ländchen"
quoll von Bewohnern über. Das Diktat der beiden Lebensgesetze von
der Enge des Lebensraumes und der geringen Ergiebigkeit des Bodens war
voll in Kraft. Zwei Zahlen sollen die Lage der Sprachinsel zu diesem Zeitpunkt
veranschaulichen, da sich das übervölkerte "Ländchen"
anschickte, wie ein Kessel an seinem inneren Überdruck zu explodieren.
Professor Grothe verweist auf Seite 46 seines Buches über Gottschee
ohne nähere Quellenangabe auf eine Zählung der Gottscheer aus
dem Jahre 1745. Sie wurde angeblich von den damaligen fünf Pfarren
vorgenommen und ergab 9000 "betraute Seelen". Wir lesen diese
Zahl nicht ohne Mißtrauen, denn sie scheint zu niedrig zu sein.
Wenn sie stimmte, hätte sich seit 1574 die ebenfalls geschätzte
Einwohnerzahl nicht verändert. Das aber ist so gut wie ausgeschlossen,
denn die Türkeneinfälle lagen 150 Jahre zurück und die
wirtschaftliche Erholung der Sprachinsel unter den Auersperg dauerte bereits
über hundert Jahre. Aber selbst wenn man die Grotheschen 9000 um
ein Drittel auf 12.000 Seelen steigert, sind die Angaben des Wiener Statistikers
C. Czoernig für das Jahr 1852 mit rund 22.000 und um 1875 mit 25.000
bis 26.000 Personen noch erstaunlich genug (zitiert nach Maria Hornung,
"Mundartkunde Osttirols", Seite 145).
Zugespitzt ausgedrückt: Am rapiden Bevölkerungswachstum der
Gottscheer erweist sich, daß sich das Völkchen im Karst biologisch
trotz seiner völkischen Insellage keineswegs mehr isoliert entwickelte,
sondern - wiederum, ohne es recht zu wissen -, die allgemeine europäische
Bevölkerungsexplosion des 19. Jahrhunderts mitvollzog. Und noch mehr:
Als der Sog des menschenarmen nordamerikanischen Kontinents namentlich
das deutsche Volk zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert überfiel,
riß er auch aus dem Gottscheerland Tausende und Abertausende junge
Menschen fort. Für den einzelnen Auswanderer scheinbar zum Glück,
für die Gesamtheit der Gottscheer letzten Endes aber zum Verhängnis,
öffnete er das breite Schleusentor zum Abfließen des Bevölkerungsüberschusses.
Doch der Strom wollte nicht aufhören. Im ersten Halbjahr 1914 erteilte
die Bezirkshauptmannschaft in Gottschee etwa 700 Reisepässe für
die USA.
Das Wandern und Geldverdienen in der Fremde war den Gottscheern nichts
Neues. Es war jedoch stets Männersache gewesen. Diesmal war es anders.
Diesmal hatte der "Zeitgeist" vorgearbeitet, war das innere
Feld aufbereitet für die große Unruhe, die nun auch die jungen
Frauen und Mädchen erfaßte. Sie begannen dem Mann, dem Bruder,
dem Verlobten oder dem heimlich Geliebten zu folgen - in ein Land, das
von sich sagte, es biete unbegrenzte Möglichkeiten.
Und was bot Gottschee?
Folgte die Gottscheerin wirklich nur dem Manne nach oder war es auch die
berufliche Aussichtslosigkeit daheim oder die Aussicht, den Angehörigen
auf diesem weltweiten Umweg besser helfen zu können, die sie bewog,
in dieses Land aufzubrechen? War es Abenteuerlust, die den viel Mut erfordernden
Entschluß zur Auswanderung hervorrief? Vielleicht war es der auch
in ihr aufgestaute ewige Wandertrieb, das Wandernmüssen der Gottscheer?
Ihr winkte doch gutes und rasches Verdienen, zugleich ein freieres, besseres
Leben, war es das? Man muß wohl das ganze Bündel nüchterner
und zweckmäßiger Überlegungen, familiärer und freundschaftlicher
Bindungen und die im tiefsten Menschentum wartende Neugier auf das geheimnisvolle
Unbekannte zusammennehmen, will man die Verhaltensweise einer damals jungen
Gottscheerin aus ihrer Zeit heraus ganz begreifen.
s'Lantle" ließ sie trotzdem nicht los, auch dann nicht, nachdem
sie, von der grauenhaften Ozeanüberquerung auf dem Auswandererschiff
arg mitgenommen, amerikanischen Boden betreten hatten. Auf der einen Seite
war sie der Enge entronnen, andererseits suchte und fand sie in der Endlosigkeit
des unbekannten und drohenden Raumes Halt und Geborgenheit bei ihren Landsleuten.
Doch nicht nur Schutz suchte sie, sondern auch die Wärme des "Hoimischn",
des "Heimischen", des Gewohnten. Nicht wenige der Einwanderer
brauchten viel Trost und guten Zuspruch, um das Heimweh ertragen zu können.
Hier begegnen wir einem bemerkenswerten, seelischen Phänomen: Als
ob sie einem Naturgesetz gehorchte, wehrte sie sich dagegen, auf dem Lande
Arbeit zu suchen - nicht nur, weil "er", der Landsmann oder
ein bestimmter Landsmann die Stadt nicht verließ, sondern weil es
ihr seit Jahrhunderten förmlich eingeboren war, daß der Boden
auch die härteste Mühe nicht recht lohnte.
Beim Einleben in die völlig anders gearteten Daseinsumstände
kam der Gottscheerin, wie übrigens auch ihrem Landsmann, ein Umstand
zustatten:
Die bäuerlichen Menschen im Gottscheerland wurden von Kindheit an
täglich gezwungen, zu improvisieren. Deshalb fanden sie sich in dem
Land, dessen "way of life" auch heute noch eine zum System gewordene
Improvisation darstellt, schnell zurecht.
Die ersten Gottscheer Einwanderungsgruppen blieben jedoch nicht in dem
überfüllten New York, sondern zogen in ihrer Mehrzahl nach Cleveland/Ohio
weiter, wo sie verhältnismäßig rasch Arbeit fanden. Schon
in den achtziger Jahren waren es ihrer so viele - und der Zuzug hielt
an - daß soziale Probleme entstanden. Um sie aufzufangen, gründeten
einige beherzte Männer die erste landsmannschaftliche Hilfsorganisation
der Gottscheer in den Vereinigten Staaten und nannten sie: "Erster
österreichischer Unterstützungsverein". Die äußeren
Umstände ihres Entstehens sind zum Teil noch bekannt. Das "Gottscheer
Gedenkbuch" beschreibt sie auf Seite 48: "Die erste Idee zur
Gründung eines Unterstützungsvereines entstand Anfang Juni 1889,
als sich verschiedene Gottscheer an der Hochzeit des Herrn Josef Perz
aus Malgern trafen. Das Resultat dieser Privatbesprechung war, daß
schon am 7. Juli desselben Jahres vierzehn wackere Gottscheer den ,Ersten
österreichischen Unterstützungsverein' gründeten. Herr
Josef Kump aus Schalkendorf hatte das Vergnügen, als der erste Präsident
dieses ersten Gottscheer Vereins in Amerika gewählt zu werden. Die
monatlichen Beiträge waren auf 50 Cents festgesetzt." Die Menschenverluste
des kleinen Gottscheer Volkskörpers in den achtziger und neunziger
Jahren bzw. bis zum Ersten Weltkrieg waren nicht mehr aufzuholen. Dabei
ging es jedoch nicht nur um die Zahl der unmittelbaren Auswanderer, sondern
auch darum, daß es sich um die tatkräftigsten, wagemutigsten
und arbeitsmäßig Tüchtigsten handelte. Zwar kam es bis
1914 vor, daß junge Paare, vom Heimweh getrieben, in die alte Heimat
zurückkehrten und dort entweder neu begannen oder das Werk ihrer
Eltern und Schwiegereltern mit den ersparten Dollars fortführten.
Diese Rückwanderung wirkte gegenüber dem breiten Strom in der
Gegenrichtung wie ein dünnes Rinnsal. Für Gottschee verloren
waren vor allem aber die Kinder und Kindeskinder der Auswanderer.
Die Massenauswanderung zeitigte eine weitere psychologische Rückwirkung:
Die Ausgewanderten schickten, sobald sie dazu in der Lage waren, Geld
nach Hause. Jeder ins "Ländchen" gelangte Dollar bedeutete
eine echte Hilfe, gleichzeitig aber auch eine intensive Werbung für
Amerika. Was mußte der Empfänger alles tun, um den Gegenwert
eines US-Dollars in mehr als vier österreichisch-ungarischen Kronen
zu ersparen?!
Nach der Jahrhundertwende mehrten sich, zunächst in den abgelegeneren
Dörfern, die Bauernhausruinen. Die früheren Besitzer oder ihre
Erben lebten in Amerika. Niemand hielt den Verfall auf.
Und nicht wiedergutzumachender Schaden entstand an den Traditionen der
Gottscheer durch die Abwanderung der volkstumsgestaltenden jungen Kräfte
aus 30 Geburtsjahrgängen. Unter ihnen zählten manche Mädchen
und junge Frauen doppelt, die Vorsängerinnen in der singenden Dorfgemeinschaft,
in den Pfarrkirchenchören, die Erzählerinnen bei abendlichen
Gemeinschaftsarbeiten, überhaupt die jungen weiblichen und männlichen
Persönlichkeiten, nach denen man sich richtete. Das soll nicht heißen,
daß diese jungen Gottscheer moralisch verantwortlich zu machen wären
für die Lücke, die sich nun nicht mehr schließen ließ.
- Wie vordem die Tracht beim Kirchgang, verschwand allmählich das
mundartliche Kirchenlied aus den Gottesdiensten.
Von zwei Seiten also war all das, was das Gottscheertum ausmachte, bedroht;
Durch den unaufhaltsamen Rückgang der Menschenzahl und das allmähliche
Schwinden der Traditionen formenden und erwerbenden Kraft.
War die Sprachinsel überhaupt noch zu retten?
Kaum etwas von dem eigentümlichen Gottscheer Kulturgut war um die
Mitte des 19. Jahrhunderts aufgezeichnet. Zwar konnten die jüngeren
Erinnerungsträger des Volkstumsgutes nun lesen und schreiben, doch
ihre Schicht war bereits vor der großen Auswanderungswelle dünner
und dünner geworden. Nur alte Frauen und Männer beherrschten
noch die Volkslieder, das Erzählgut und die unverfälschte Mundart.
Aber wie sollte eine alte Bäuerin, die ohnehin nicht schreiben und
lesen konnte, etwa ein Volkslied oder eine Sage, Sprichwörter oder
dergleichen aufzeichnen?
Entdeckt durch sprachwissenschaftliche und volkskundliche Forscher Alpen-Österreichs
Was hielten denn die Männer der Wissenschaft für gefährdet? Was
wollten sie von dem Gottscheer wissen? Mehr und anderes, als diesen wichtig
erschien. Seitdem die Sprachinsel Gottschee vereinzelt für Geographen
und Nationalitätenforscher interessant geworden war, begannen und endeten
ihre Untersuchungen mit der Frage nach der Herkunft der Vorfahren dieses
eigentümlichen Völkchens. Die Gottscheer selbst mußten die Antwort schuldig
bleiben, sie hatten keinerlei Beziehung mehr zur Herkunft der Ur-Gottscheer.
Deshalb hatten sie den Herkunftstheorien, die in einem wissenschaftlichen
Aufputz einherstolzierten, nichts geschichtlich Echtes entgegenzusetzen.
Erst jetzt, ein halbes Jahrtausend nach der Besiedlung des Gottscheerlandes,
kann man die Forschungsmethoden und deren Ergebnisse ernst nehmen.
Und noch einmal hundert Jahre mußten vergehen, bis die Gottscheer endgültig
erfuhren, woher ihre Urahnen stammten. Doch bleiben wir im 19. Jahrhundert
und blicken wir den Forschern über die Schulter, wie sie den Weg für
das Endergebnis bereiteten:
Die ersten Tastversuche, über die Mundart auf die Antwort zu der
Frage nach der Herkunft zu gelangen, fielen in die frühe, zweite
Hälfte des 19. Jahrhunderts. 1861 erschien aus der Feder des damaligen
evangelischen Pfarrers in Laibach, Theodor Elze, eine Arbeit: "Gottschee
und die Gottscheer". Sein Interesse für die Sprachinsel hatten
persönliche Begegnungen mit Gottscheern geweckt. Sie waren nun öfter
in der krainischen Landeshauptstadt zu sehen, bestand doch eine Postverbindung
von Gottschee nach Laibach. Er schrieb unter anderem über ihren Dialekt:
"Die Gottscheer Mundart ist eine äußerst wertvolle und
noch unbenutzte Quelle für germanistische Studien, aus welcher nicht
allein eine bedeutende Bereicherung der Kunde der deutschen Mundarten,
sondern selbst mancher nicht verachtenswerte Beitrag zum Verständnis
unserer altdeutschen Sprache geschöpft werden kann." (Zit nach
Grothe S. 129.)
Tiefer als Elze schürfte der uns bereits bekannte Wiener Universitätsprofessor
Dr. K. J. Schröer in der Mundart nach Herkunftsmerkmalen. Noch etwas
unsicher, doch mit klarem Blick steuerte er auf das engere Herkunftsgebiet
zu: "Die Gottscheer sind im ganzen Markomannen, die Mundart hat den
Charakter der bairisch-österreichischen Lechmundarten, aber mit einem
alten Zusatz von Schwaben und Franken her, durch den sie, bei großer
Verwandtschaft mit der Mundart der Zimbri und der Kärntner, sich
von diesen in vielen Wortformen und gewissen Lauten unterscheidet "
(Zit. nach Grothe, S. 129.)
Die Frucht seines an sich kurzen Aufenthaltes in Gottschee war eine Abhandlung
über die Mundart, die nur noch historischen Wert besitzt. Ihm verdanken
wir auch ein Verzeichnis der Ortschaften des "Ländchens".
Die geistige Nachfolge Schröers trat der in Prag lehrende Prof.
Dr. Adolf Hauffen, ein geborener Laibacher, an. Er veröffentlichte
die bereits als klassisch angesehene Monographie: "Die Sprachinsel
Gottschee",
erschienen in Graz 1895. Bei ihm herrscht kein Zweifel mehr über
die Herkunft der Vorfahren der Gottscheer aus dem bairisch-österreichischen
Dialektraum, wenn auch dieser Fachausdruck zu seiner Zeit noch nicht
gebräuchlich
war. Er fand in ihr die wesentlichsten Eigentümlichkeiten des Bairischen
in Wortschatz und Wortbildung, Flexionsform und Vokalismus wieder. Einen
erheblichen Einfluß alemannisch-schwäbischer Dialektformen
läßt Häuften nicht gelten. Seine übrigen Ansichten
über die Herkunft der Gottscheer erfahren wir bei Grothe auf Seite
129 unten, wo der Leipziger Forscher schreibt: "Einfluß und
Einwanderung bairisch-österreichischen Schlages ist aus dem benachbar-ten
Kärnten und Steiermark im Gottscheerland unstreitig sehr stark
gewesen. Der Wortvorrat der Gottscheer Mundart hat wohl zu 60% diesen
Ursprung.
Merkwürdig aber ist, daß trotz dem ansehnlichen bairisch-österreichischen
Wortvorrat mehrere Eigentümlichkeiten des Bajuwarischen im Gottscheerischen
sich nicht finden, so die Dualformen "ös" und "enk",
sowie das Verschlucken des e in den Vorsilben der Worte. Der Gottscheer
spricht deutlich "gamochat", "Geschwister", "pahent", nicht gmacht,
Gschwister und phent. (Zit. nach Grothe, S. 129-130.)
Bis zu Hauffen veröffentlichten ausschließlich Nicht-Gottscheer
die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten über das "Ländchen"
und ihre Ansichten. Der erste Gottscheer, der ein einwandfrei wissenschaftliches
Werk über die Mundart seiner Heimat beisteuerte, war ein Schüler
Hauffens: Dr. Hans Tschinkel aus Lichtenbach, Gymnasialdirektor in Prag.
Er schrieb "Die Grammatik der Gottscheer Mundart", erschienen
in Halle 1908. Sie sollte überleiten zu einem Wörterbuch der
Gottscheer Mundart, doch die Strapazen des Ersten Weltkriegs und seine
rastlose Forschertätigkeit, in die er auch das Gottscheer Volsklied
einbezog, hatten seine Lebenskraft frühzeitig aufgezehrt. Viel zu
früh starb er 1926 und hinterließ eine einzigartige Ernte,
weit über tausend Mundartlieder aus der Sprachinsel Gottschee. Sie
sollten als Band I eines mehrbändigen Werkes über das Volkslied
in der österreichisch-ungarischen Monarchie erscheinen. Der Zusammenbruch
des Donaustaates im Jahre 1918 zerstörte auch diesen Plan. Hans Tschinkel
hinterließ darüber hinaus zahlreiche vorbereitende Aufzeichnungen
für das Mundartwörterbuch. Keiner der Eingeweihten wagte zu
hoffen, daß es jemals erscheinen würde.
Dennoch: Ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode erschien im Verlag der
österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien der II. Band
des "Wörterbuches der Gottscheer Mundart", von Dr. Walter
Tschinkel aus Morobitz, dem Neffen des Forschers. Walter Tschinkel hatte
seine pädagogische Ausbildung an der Lehrerbildungsanstalt in Klagenfurt
erfahren und studierte als junger Lehrer, um dem großen Werk fachlich-sprachwissenschaftlich
gewachsen zu sein, Germanistik. Wieder schien es, als sollten durch einen
weiteren Krieg und die gesundheitliche Gefährdung Dr. Tschinkels
alle Bemühungen um die Erfassung des bedeutendsten wissenschaftlichen
Werkes über die Sprachinsel Gottschee umsonst gewesen sein. Es gelang
ihm jedoch, den ersten Band 1974 und den zweiten Band 1976 bis auf die
letzten Korrekturen noch selbst zu vollenden. Im Oktober 1975 starb er
in St. Georgen am Längsee, der Stätte seines langjährigen
Wirkens, noch nicht 70 Jahre alt.
Sein Tod versetzte die letzte Gottscheer Generation in tiefe Trauer.
Seine persöhnlichen Freunde, zu denen sich auch der Verfasser des "Jahrhundertbuches"
zählen durfte, hatten sich mit ihm gefreut, als er wenige Monate vor
seinem Ableben in Wien den Theodor-Körner-Preis erhielt. Seine Landsleute
zeichnenten ihn mit dem "Gottscheer Ehrenring" aus und die Gemeinde St.
Georgen ernannte ihn posthum zum Ehrenbürger.
Mit seinem "Wörterbuch der Gottscheer Mundart" hat Dr.
Walter Tschinkel der deutschen Sprachwissenschaft, namentlich der bairisch-österreichischen
Dialektgeographie, einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Frühzeitig
nahm er die Verbindung mit der "Bairisch-österreichischen Wörterbuchkanzlei"
in Wien auf, früh erkannte die Kanzlei die Bedeutung seiner Arbeit.
- Walter Tschinkels Werk erschien als Band VII der Schriftenreihe: "Studien
zur österreichisch-bairischen Dialektkunde" und setzte damit
die Tradition der "kaiserlichen", ab 1867 k. u. k. Akademie
der Wissenschaften
in der Förderung von Gottschee-Forschern fort. K. J. Schröer
war der erste Walter Tschinkel - so hoffen die Gottscheer - wird nicht
der letzte Geförderte sein.
Das Wörterbuch der Gottscheer Mundart
fand außer der ideellen und verlegerischen Unterstützung seitens der
Akademie der Wissenschaften in Wien jene weitere Förderung in der Repuplik
Österreich und der Bundesrepublik Deutschland, welche die Herausgabe
des zweibändigen Werkes überhaupt erst ermöglichte. Tschinkel dankt den
beteiligten Stellen und Organisationen auf Seite VI des ersten Bandes
mit folgenden Worten:
Für die Breite des wissenschaftlichen Stoffes und seine detaillierte
Vertiefung war es gewiß von großem Vorteil, daß Tschinkel
die Gottscheer Mundart als Muttersprache in den Arbeitsbereich der modernen
österreichisch-bairischen Dialektgeographie einbrachte. Diesen Umstand
wußten besonders zwei führende Experten auf diesem Gebiet zu
schätzen, die Wiener Universitätsprofessoren Dr. Eberhard Kranzmayer
und Frau Dr. Maria Hornung. Sie führten das Lebenswerk Walter Tschinkels
wieder richtungweisend und vergleichend behutsam zu seinem Platz auf der
akademischen Ebene Österreichs.
In den Jahren vor dem Erscheinen des "Wörterbuches der Gottscheer
Mundart" fand ein ständiger Gedankenaustausch, vor allem zwischen
Walter Tschinkel und Frau Maria Hornung, statt. Auf zahlreichen Kundfahrten
durchforschten sie die Teillandschaften
des von Prof. Kranzmayer allgemein als "tirolisch-kärntnerisches
Grenzgebiet" umrissenen Herkunftsraumes der Gottscheer. Es glückte
ihnen mehrfach, durch Vergleich ausgefallener Ausdrücke des bäuerlichen
Lebens, Auswanderungsorte bis auf das Dorf genau festzulegen. Über
die allgemeinen Übereinstimmungen zwischen dem Osttiroler und Gottscheer
Dialekt schreibt Prof. Hornung in ihrem Buch "Mundartkunde Osttirols"
auf Seite 147 das Folgende:
"Nach Ausschaltung der für eine Wortvergleichung des Gottscheerischen
mit den Mundarten des tirolisch-kärntnerischen Grenzbereiches nicht
brauchbaren Wortgruppen ergibt sich folgendes dialektgeographisches Bild:
Zu einem erheblichen Teil sind die Gottscheer Eigentümlichkeiten
denen des Pustertales bzw. des Lesachtales zuzuordnen."
Einer besonderen Erörterung bedarf hinsichtlich seiner Mundart und
Herkunftsfrage das "Suchener Hochtal", die westliche Randlandschaft
des Gottscheerlandes. Sie hat ihre eigene Besiedlungsgeschichte. Es gibt
Gründe für die Annahme, daß diese bereits mit der ersten
Besiedlungsphase einsetzte. Wenig spricht jedoch dafür, daß
das Hochtal aus dem Hinterland, etwa von Göttenitz aus, besiedelt
wurde, weil es durch den Rieg-Göttenitzer Wald geradezu verkehrsfeindlich
abgeriegelt war. Hingegen war es aus dem Raum Altenmarkt, Laas, Zirknitz,
Idria ohne große Mühe zu erreichen. Diese Tatsache haben wohl
auch die Siedlungsplaner der Grafen von Ortenburg vor der Kolonisierung
des Tales ermittelt. Das Schloß Laas und seine Zugehörungen
waren altes Lehen der Patriarchen von Aquileja. Über diese hinaus
wies die eben kurz umschriebene Landschaft mehrere sprachinselartige Einflüsse
mit deutscher Bevölkerung auf. Das Zustandekommen dieser kleinen
Siedlungen beschäftigte bereits den Schulrat Josef Obergföll,
der uns im 20. Jahrhundert wieder begegnen wird. Grothe geht auf Seite
202 auf die diesbezüglichen Anmerkungen ein und schreibt: "..
. die Bewohner des Suchener Hochtales, einer alten Aufzeichnung gemäß,
von Idria und der Wochein, also von den dort eingepflanzten Kolonien des
Freisinger Hochstiftes gekommen."
Grothe bedauert zunächst, daß Obergföll seine Quelle nicht
angibt und wir sind heute darauf nicht unbedingt angewiesen, weil wir
in der Lage sind, der Obergföllschen Mitteilung zur Herkunft der
Suchener eine bisher nirgends erörterte, geschichtliche Komponente
hinzuzufügen: Schloß Laas und seine Zugehörungen waren
- ein Ausnahmefall! - jahrelang zwischen Aquileja und Ortenburg strittig.
Die Angelegenheit ist heute nicht mehr ganz durchsichtig, doch ist soviel
bekannt, daß die Grafen behaupteten, das Schloß gehöre
ihnen zu eigen, während die Patriarchen diesen Anspruch ablehnten.
Jedenfalls hielten die Ortenburger Laas über längere Zeit besetzt,
bis Patriarch Pagano II. 1327 die Geduld verlor und es zum "ledigen
Lehen" erklärte. Die Ortenburger aber waren durch diesen Spruch
zum Abzug gezwungen, wollten sie nicht der "Felonie" geziehen
werden und damit alle ihre Lehen aus Patriarchenhand verlieren. Trotzdem
versuchte der ungebärdige Graf Hermann III. 1335 noch einmal. Schloß
Laas mit Handstreich zu gewinnen. Der damals bereits regierende Patriarch
Bertrand (siehe Villacher Konferenz von 1336) griff hart durch, vertrieb
Hermann und belehnte die in Kärnten eben zu Herzögen eingesetzten
Habsburger Otto und Albrecht mit dem Streitobjekt.
Schlußfolgerung:
Die Grafen von Ortenburg verfügten lange genug über Schloß
Laas, weil sie in den Zugehörungen und im Umkreis von Altenmarkt, Idria
usw., Kolonisten für die Ansiedlung im Suchener Becken fanden. Sie
ersparten sich damit viel Weg, Zeit und Geld, zumal in ihren eigenen Lehensgebieten
Unterkrains Siedlungswillige ohnehin nicht mehr in beliebiger Zahl zur Verfügung
standen.
Unter diesen durchaus glaubhaften Voraussetzungen klärt sich wie von
selbst auch die Frage nach den Unterschieden zwischen der Suchener Haussprache
und der übrigen Gottscheer Mundart. Man war lange geneigt, anzunehmen,
daß sich diese Unterschiede in der Abgeschiedenheit des Suchener Hochtales
"entwickelt" haben und gewachsen sind, nun aber besteht kaum noch
ein Zweifel, daß die Bevölkerung dort von Anbeginn nicht anders
gesprochen hat als bis zur Umsiedlung. Die Vorfahren der Suchener Bevölkerung
kamen, wie wir gesehen haben, andererseits ebenfalls aus dem Kolonisationsstreubereich
des Freisinger Eigenklosters Innichen im Pustertal, doch offensichtlich
nicht unmittelbar aus dem Herkunftsgebiet der Urgottscheer. Wir sind der
Zeit etwas vorausgeeilt, um die Einheitlichkeit des Herkunftsnachweises
durch die Mundart zu wahren. Das ist uns hinsichtlich des Suchener Hochtales
zunächst nur mit Hilfe einer geschichtlichen Gedankenreihe gelungen.
Der eigentliche sprachwissen-schaftliche Nachweis steht zugegebenermaßen
noch aus. Es wäre daher sicher ein reizvolles Thema für einen
angehenden Dialektgeographen der Wiener Schule, solange es noch gewissermaßen
Original-Suchener gibt, die obige geschichtliche These sprachwissenschaftlich
zu untermauern.
Wir haben nun noch die Frage zu beantworten, welche spezifisch gottscheerischen
Kulturgüter die Männer der Wissenschaft außer der reinen
Sprechsprache im 19. Jahrhundert gefährdet sahen. Das waren die mundartlich
gebundenen liedhaften und erzählenden Inhalte als Zeugnisse der Volksphantasie
und -poesie, als da waren: das Volkslied, die Sagen und Märchen, Mythen
und Legenden, Erwachsenen- und Kinderspiele, heitere und ernste Erzählungen,
Brauchtum und Aberglauben, teilweise aus heidnischer Wurzel.
Die Forscher und die Gottscheer selbst waren in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts noch überzeugt, daß viel von dem ungehobenen Volkstumsschatz
des "Ländchens" bereits endgültig untergegangen sei. Mag
sein, daß Lieder und Erzählgut aufgegeben wurden, weil sie dem Volk
nicht mehr gefielen. Als aber Schröer und vor allem Hauffen auf Entdeckungsreise
gingen, standen sie bei den alten Menschen vor einer schier unerschöpflichen
Fundgrube. Hauffen war es auch, der das Gottscheer Volkslied als erster in die
noch junge deutsche Volkslied-Systematik einband. Er charakterisiert es auf Seite
130 seines Werkes unter anderem wie folgt: "Manches harrt noch verborgen
des Finders. Doch der moderne Volksliederschatz anderer deutscher Landschaften
vermittelt nicht diesen Eindruck des Altertümlichen und Eigenartigen. Keiner
weicht in der Form so von allem übrigen ab, nur wenige bieten in den Einzelheiten
so viel des Neuen dar, wie der Gottscheer Liederschatz." - Hauffen zieht
dann einen Vergleich zwischen dem Volksliedschaffen der Siebenbürger und
der Gottscheer: "In beiden Sprachinseln werden die Volkslieder völlig
in der Mundart gesungen. Das Volkslied abgelegener Gegenden ist überhaupt
in der Regel mundartlich, in beiden wird die Ballade bevorzugt, in beiden gewähren
die Lieder durch die Form meist dreiteiliger Strophen, durch Auffassung und Darstellung
einen altertümlicheren Eindruck als die entsprechenden deutschen Parallelen."
Hauffen
verneint auch nicht einen gewissen Einfluß der anders-völkischen
Umgebung. Das Gottscheer Volkslied erscheint dem Nicht-Gottscheer Hauffen
beim ersten Lesen ungewöhnlich, ja fremdartig, und der Text ist ihm,
auch ohne Melodie, zunächst unverständlich. Dies lag größtenteils
an der behelfsmäßigen Aufzeichnung der Lieder durch die Sammler,
deren eifrigste die jungen Lehrer waren. Unter ihnen befanden sich Namen,
wie Wilhelm Tschinkel, der Vater Dr. Walter Tschinkels, Josef Perz, Mathias
Petschauer u. a., ihre Namen sind im Hauffischen Werk zu finden. Der Volksliedforscher
aus Prag hatte es daher ungleich schwerer als sein Schüler und Mitarbeiter
Hans Tschinkel, das musikalische Gewand der Gottscheer Volsklieder auszumachen
und zu ihrem innersten Wesenskern vorzudringen. Aber auch Hans Tschinkels
Aufzeichnungen vermochten niemandem die eigentümliche Klangfarbe
der Vokale, überhaupt die Melodik der Mundart so eindeutig zu vermitteln,
daß ein hochmusikalischer, landfremder Deutscher imstande gewesen
wäre, ein Gottscheer Volkslied sozusagen vom Blatt zu singen. Erst
die modernen technischen Hilfsmittel erschließen dem persönlich
oder wissenschaftlich interessierten Nicht-Gottscheer lautgetreu die Lieder
des "Ländchens".
Die Mehrzahl der Gottscheer Volsklieder dürfte nicht außerhalb
der gesamtdeutschen Entwicklung auf diesem Kultursektor entstanden sein.
Schon Hauffen sagte, daß die Deutschen im 15. und 16. Jahrhundert
besonders sanges- und wanderfreudig waren. Wenn wir nun bedenken, daß
in diesen beiden Jahrhunderten Tausende von
Gottscheer Hausierern im österreichisch-bairischen Dialektraum, im
musikalisch ungemein begabten Böhmen, auch in den deutschsprachigen
Enklaven Krains herumkamen, so ist nicht von der Hand zu weisen, daß
sie eine unübersehbare Zahl von Anregungen zur Weitergabe an die
Leute daheim mitbrachten. Der Hausierer lebte in seinem Handelsrevier
ja nicht von der ansässigen Bevölkerung isoliert. Er verbrachte
die Abende am liebsten doch dort, wo es unterhaltsam war, in den Herbergen,
Gasthäusern oder bei gastfreundlichen Bauern.
Nicht
zu übersehen ist die Funktion der Kirche und der von ihr wachgehaltenen
Gläubigkeit und Frömmigkeit der Bewohner des "Ländchens".
Die Betreuung durch die kirchliche Organisation und die religiöse
Betätigung der Gläubigen waren von Anbeginn der Kolonisation
entscheidende Faktoren für das Weiterbestehen der Schicksalsgemeinschaft
im Karst. Bedingungslose Gläubigkeit und die durch das Kirchenjahr
klar gegliederte Brauchtumskette bildeten eine übergeordnete geistige
Kraft, die ihrer Seelenlage entgegenkam. Das Verharren
der Kirche in ihren Überlieferungen und der Hang der Gottscheer zum
Leben im Althergebrachten verbanden sich zu einer psychologisch äußerst
wirksamen Einheit. Dazu kam, daß die bäuerliche Bevölkerung
im Pfarrer jahrhundertelang die einzige, stets vorhandene Autorität
sah, die auch die weltliche Ordnung beeinflußte. Und diese Autorität
sprach gottscheerisch, zumindest verstand sie deutsch. Schon die Grafen
von Ortenburg hatten zur Heranbildung seelsorgerischen Nachwuchses in
ihren krainischen Lehensgebieten zu Reifnitz eine Lateinschule eröffnet.
Mit der Gründung des Bistums Laibach im jähre 1461 wurde die
Priesterausbildung nach Laibach verlegt. Das Bistum Laibach nahm die Sprachinsel
Gottschee, soweit sich dies zurückverfolgen läßt, als
völkische Besonderheit zur Kenntnis und versorgte sie mit Geistlichen
aus dem "Ländchen" selbst, mit deutschsprachigen Geistlichen.
Der Bedarf an solchen war gering. Um 1745 waren erst fünf Pfarreien
zu betreuen.
Ihre Zahl stieg mit der Bevölkerung im 19. Jahrhundert auf elf Pfarrgemeinden
mit rein gottscheerischer Bevölkerung: Göttenitz, Rieg, Morobitz,
Gottschee-Stadt, Mitterdorf, Altlag, Obermösel, Nesseltal, Stockendorf,
Tschermoschnitz und Pöllandl. Pfarren mit gemischtsprachiger Bevölkerung
in den Randgebieten wurden grundsätzlich mit slowenischen Pfarrern
besetzt. Seltsamerweise erhielt aber auch das Suchener Hochtal seit Menschengedenken
nur slowenische Priester. Kirchenorganisatorisch waren die Pfarren des
Gottscheerlandes einem Dekanat mit dem Sitz in der Stadt unterstellt.
Die stärksten Priester-Persönlichkeiten brachten die Gottscheer
- nicht zufällig - in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts hervor.
Ihr Wirken ragte in den meisten Fällen noch in das 20. Jahrhundert
hinein: Das höchste kirchliche Amt, in das ein Gottscheer Priester
berufen wurde, trug von 1898 bis zu seiner Pensionierung der Domherr
und
Kanonikus Josef Erker in Laibach. Er stammte aus Mitterdorf, wo er 1851
zur Welt kam, und starb 1924 in der Stadt Gottschee, der er mit großem
Idealismus und Beharrungsvermögen das "Waisenhaus" vermittelt
hatte. Es unterhielt eine dreiklassige Bürgerschule für
Mädchen
unter Leitung von katholischen Schulschwestern. Diese Anstalt besaß für
die weibliche Jugend des "Ländchens" ungefähr die
gleiche Bedeutung wie das Untergymnasium für die Knaben. Noch als
Domkaplan gründete Josef Erker gemeinsam mit seinem Schwager Franz
Jonke den "Waisenhaus-Verein", dem es unter seiner tatkräftigen
Leitung gelang, rund 90.000 Gulden für die gemeinnützige Einrichtung
zu sammeln. Sein Bruder Ferdinand Erker, geboren 1866 in Mitterdorf,
gestorben am 13. Oktober 1939 in Gottschee, war der letzte deutsche Dechant
in Gottschee und Ehrendomherr in Laibach.
Mädchenerziehungsanstalt "Marienheim" in Gottschee
Ein weiterer Geistlicher namens Josef Erker aus Mitterdorf (1873 bis 1939)
amtierte jahrzehntelang in der Pfarre Obermösel, deren Geschichte
er in der "Gottscheer Zeitung" in zahlreichen Fortsetzungen
veröffentlichte. In Mitterdorf selbst wirkte der Geistliche Rat Josef
Eppich, geboren 1874 in Malgern, gestorben unter tragischen Umständen
1942, als geachteter Seelsorger. Er war derjenige Gottscheer Geistliche,
der sich in der Öffentlichkeitsarbeit, bzw. politisch, unter schwierigsten
Umständen für seine Heimat am meisten exponierte. Er war Eigentümer
und Herausgeber der "Gottscheer Zeitung" seit 1919, wurde 1927
in den Landtag Sloweniens gewählt, ohne dort für das Weiterbestehen
des Gottscheer Schulwesens, das ihm sehr am Herzen lag, mehr tun zu können,
als beschwörende Worte zu verlieren.
Als hervorragender
Prediger und Herausgeber des "Gottscheer Kalenders" bekannt
war der Geistliche Rat August Schauer, geboren 1872 in Pöllandl,
gestorben 1941 in Nesseltal, wo er jahrzehntelang das Pfarramt innehatte
und kraft seiner überragenden Persönlichkeit Gesicht und Gewicht
seiner Gemeinde prägte.
Ungewöhnlich volksverbunden war der Geistliche Rat Alois Krisch,
geboren 1893 in Rieg, gestorben 1966 in Brandenberg/Tirol, der zuletzt
das Seelsorgeamt daheim in Altlag ausübte. In unserem Andenken auch
Herrn Pfarrer Heinrich Wittine, geboren 1891 in Lichtenbach, gestorben
1977 in Graz. Außerhalb des eigentlichen Bereiches der Verstreuung
treffen wir zwei Gottscheer Ordensgeistliche in maßgeblichen Stellungen
an: Julius Josef Gliebe, 1891 in Langenton geboren, war 65 Jahre an der
Kirche St. Mary of Assumtion in Kalifornien als Pfarrer tätig, wo
er im Jahre 1974 starb. Pater Anton Fink, geboren am 27. November 1915
in Altlag, war seit 1955 Generalprokurator der Missionskongregation der
Brüder vom Heiligsten Herzen Jesu in Rom (Vatikan).
Ein weiterer Ordensgeistlicher ("Gesellschaft des Göttlichen
Wortes") Pater Mathias Schager, geboren 1935 in Maierle, lebt in
Wien. Nach seinem Theologiestudium in Wien, Bonn und München wirkte
er als Kinder- und Jugendseelsorger in Wien, wo er dann eine Stelle als
Pfarrer übernommen hat.
In Niklasdorf bei Leoben amtiert als Pfarrer ferner Josef Seitz, geboren
1932 in Malgern.
Bevor wir uns aus dem 19. Jahrhundert entfernen, gebührt einer außerordentlichen
Lehrerpersönlichkeit des Gottscheerlandes die ehrende Erwähnung:
Die Rede ist von dem "Alten Lehrer" Josef Erker, geboren 1824
in Mitterdorf, gestorben 1906 in Gottschee. Er wurde nach der Neuordnung
des österreichischen Schulwesens durch das Reichsvolksschulgesetz
von 1869 in den staatlichen Schuldienst übernommen. Als Erzieher
und Mensch war er gleich erfolgreich. Durch seine Hände gingen zahlreiche
Talente des weiten Schulsprengels Mitterdorf, die ihrerseits wiederum
- auf seiner pädagogischen Leistung und dem Untergymnasium in Gottschee
aufbauend - im Leben vielfach Überdurchschnittliches erreichten.
Zu ihnen zählten seine beiden Söhne, Dompfarrer und Kanonikus
Josef und Dechant Ferdinand Erker.
Wenn die Zahl der Kirchen in einem Bereich als Maßstab für
die Religiosität der darin lebenden Menschen gelten soll, so waren
die Gottscheer in der Tat sehr fromm. Auf dem ihnen unmittelbar gehörenden
Siedlungsgebiet - der Auerspergsche Herrschaftwald kann hier abgezogen
werden - standen rund hundert Pfarr- und Filialkirchen sowie kirchenähnliche
Kapellen. Und keine von ihnen war ohne Glocke. Nach dem Ersten Weltkrieg
wetteiferten die Amerika-Gottscheer geradezu dorfweise, um die zwischen
1914 bis 1918 für militärische Zwecke eingeschmolzenen Glocken
zu ersetzen.
Entdeckt durch die politische und kulturelle Führung der Slowenen
In der Einleitung zur Beschreibung des 19. Jahrhunderts stellten wir fest,
daß das Gottscheerland hundert Jahre später zwar von den Gottscheern
noch bewohnt, in seinem Gesamtbild jedoch völlig verändert sein
würde. Der Wandlungsprozeß spielte sich
jedoch nicht unbeachtet und unbeobachtet von der anderssprachigen Umgebung
ab. Der slowenische Nationalismus hatte sich in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts weiter verdichtet und am Widerstand gegen das Deutschtum
in Krain formiert. Dies gilt weniger für die unmittelbare gottscheerisch-slowenische
Nachbarschaft an den Randgebieten der Sprachinsel. Dort verstand und verständigte
man sich wie eh und je - vor allem über wirtschaftliche Dinge. Der
steigende politische Druck auf die Gottscheer ging vielmehr von einer
ständig wachsenden, panslawistisch orientierten Beamtenschaft aus.
In ihren Augen wies die Landkarte des slowenischen Lebensraumes, der ja
nicht identisch war mit Krain, einige Schönheitsfehler auf, die es
zu beseitigen galt: Das städtisch-bürgerliche Deutschtum in
der Landeshauptstadt Laibach sowie in den Städten der Untersteiermark,
Marburg an der Drau, Cilli und Pettau. Namentlich aber störten sie
die beiden ländlichen Sprachinseln Zarz in Oberkrain und Gottschee
in Unterkrain. Zarz wurde im Laufe des Jahrhunderts systematisch aufgerieben,
was verhältnismäßig leicht fiel, weil es sich - im Gegensatz
zu Gottschee - um ein kleines, nicht geschlossenes Siedlungsgebiet handelte.
Eine Periode erbitterter Kampfstimmung gegen das krainische Deutschtum
erreichte ihren Höhepunkt in den vierziger Jahren, genauer im Jahre
1848. Das krainische Deutschtum befand sich zur gleichen Zeit in erwartungsvoller
politischer Unruhe, weil scheinbar die Gründung eines Reiches unter
Einfluß der österreichischen Kronländer bevorstand. Alle
Hoffnung klammerte sich an die Nationalversammlung in Frankfurt am Main,
die endlich die deutsche Kleinstaaterei beseitigen sollte. Auch Krain
sollte Abgeordnete wählen, das heißt, nicht nur die deutschsprachige,
sondern ebenso die slowenische Bevölkerung. Aus der damaligen Zeit
heraus wird es daher verständlich, wenn sich auch die Gottscheer
die Lösung aller ihrer Probleme von einer deutschen Einheit erwarteten.
Kein Wunder, daß auch sie die Stimme des Freiheitsdichters Anastasius
Grün gerne vernahmen, wie wohl nicht anzunehmen ist, daß man
von Anbeginn in Gottschee wußte, wer sich hinter diesem Decknamen
verbarg, nämlich: Graf Anton Alexander von Auersperg, geboren 1830
in Laibach, gestorben 1876 in Graz. Er gehörte der Gräflich-Auerspergischen
Linie in Krain an und hatte somit keine unmittelbare Beziehung zu Gottschee.
Deshalb ist es auch fraglich, ob Gottschee im besonderen für ihn
ein Anliegen war. Sein Gut lag in Thurn am Hart im mittleren Krain. -
Der Dichter, der gesamtdeutsch dachte, empfand dennoch für Krain
ein Heimatgefühl, ohne den Slowenen in seinem Inneren ablehnend gegenüberzustehen.
Er glaubte sogar, daß sie sich erst im Rahmen eines größeren
deutschen Staates richtig würden entfalten können. Das war es
aber gerade, was die national überaus erregte slowenische Führung
ablehnte. Ebenso verwarf sie die Ansicht des Dichters Anastasius Grün,
daß die deutsche Eiche und die slawische Linde nebeneinander wachsen
könnten.
Im Februar 1848 wandte sich der dichtende Graf Auersperg mit dem flammenden
Appell: "An meine slowenischen Brüder!" an die Krainer
und forderte sie auf, Abgeordnete zum Frankfurter Parlament zu wählen.
Sie selbst standen vor einer Alternative, die ihnen ihre noch von Wien
aus agierende und agitierende Führung auferlegte: Für ihre Zugehörigkeit
zu einer slawischen Großmacht zu kämpfen. Der in dem Verein
"Slovenija" zusammengeschlossene Führungskreis verlangte
von ihr, daß sie die Wahl ablehnte und sich diesen offenen Widerstand
mit amtlichen Protokollen bescheinigen ließe. Es kam zur Wahl. Die
Gottscheer gaben ihre Stimme einem Abgeordneten,
den sie nicht kannten und zu dem sie weder eine politische noch menschliche
Beziehung besaßen, weil er kein Gottscheer war.
Das Schicksal der deutschen Nationalversammlung von Frankfurt ist bekannt,
sie zerfiel, ohne ihre Ziele erreicht zu haben. Tiefe Depression auch
bei den Deutschen in Krain, Triumph bei den Slowenen, die den Mißerfolg
in Frankfurt wie einen eigenen Sieg feierten. Mit verstärkter Energie
verfolgten sie die Verwirklichung ihrer Ideale. In der Sprachinsel kam
es 1854 zum ersten gezielten Eingriff der Landesregierung in die mittlere
Verwaltungsebene, die Bezirkshauptmannschaft: Die Moschnitze wurde der
rein slowenischen Bezirkshauptmannschaft Rudolfswert (Novo mesto), Stockendorf,
und das Weinbaugebiet von Maierle dem ebenfalls rein slowenischen Bezirk
Tschernembl (Crnomelj) einverleibt. Die Absicht, die gewachsene innere
Einheit des Gottscheer Völkchens zu zerstören, mißlang.
Wie man auf slowenischer Seite in der gegenwärtig lebenden, vom jugoslawischen
Sozialismus geprägten Generation, die damalige Gegenüberstellung
slowenisch-deutsch sieht, dafür liegt ein literarischer Nachweis
vor, das Buch: "Anastasius Grün in Slovenci" (Anastasius
Grün und die Slowenen). Es erschien 1970 in Marburg an der Drau und
stammt aus der Feder von Dr. Breda Pozar. Der Inhalt wird dem des Slowenischen
unkundigen Leser in einer deutsch geschriebenen "Zusammenfassung"
nahegebracht. Die Autorin legt an die Symbolfigur Anastasius Grün
uneingeschränkt den slowenischen Maßstab an: "Die Einstellung
Grüns gegen die Slowenen in politischer und sozialer Hinsicht war
die des deutschen Aristokraten und Grundherrn. Er war im Grunde gegen
jede Gleichberechtigung von Slowenen mit den Deutschen. Er war überzeugt,
daß dem deutschen Volk die führende Rolle gebührt gegenüber
den kulturell und wirtschaftlich rückständigen Slowenen. Er
wollte die Lebensinteressen des Volkes nicht anerkennen und hatte den
revolutionären Kampf seiner slowenischen Untertanen nie verstanden.
So wirkten seine Gesinnungen als Schriftsteller, die begeisterte Liebe
für Freiheit und Aufopferung für die Menschheit als eine Affektation."
Anastasius Grün wird jedoch in dem Augenblick zum "guten"
Deutschen, da er sich mit dem slowenischen Volkstum befaßt. Es heißt
auf Seite 270 nämlich weiter: "Wenn sich Grün auch als
überzeugter Deutscher nach dem Jahre 1848 in seinem politischen Wirken
immer für die Interessen der Deutschen und Grundbesitzer einsetzte,
war er in seinem ganzen Leben dem slowenischen literarischen Schaffen
freundlich gesinnt." Zum besseren Verständnis dieses Satzes
sei angefügt, daß Anastasius Grün mit dem größten
slowenischen Dichter, France Preseren, der seinerseits auch noch in deutscher
Sprache dichtete, eng befreundet war. Auf Seite 271 bescheinigt die Autorin
dann dem deutschen Freiheitsdichter: "Grün befaßte sich
mit der slowenischen Literatur, indem er slowenische Volkslieder in die
deutsche Sprache übersetzte. Seine gedruckte Sammlung erschien im
Jahre 1850. Sein großes Verdienst war, daß er damit die slowenische
Poesie in die deutsche Literatur einführte."
Das politische Fazit für die Gottscheer im 19. Jahrhundert: Um die
Mitte des Zeitraumes wurden sie um ihre bis dahin größte Hoffnung
ärmer. Die slowenische Führung
indessen machte ihnen ihr Dasein in Unterkrain streitig. Dennoch fühlten
sie sich an der Wende zum 20. Jahrhundert in der österreichisch-ungarischen
Monarchie noch geborgen. Im übrigen aber haben die Gottscheer nunmehr
den Anschluß an das Zeitalter der modernen Zivilisation und Technik
weitgehend gefunden. Es wird sich bald zeigen, was sie dafür eingehandelt
haben.
Und das war um die Jahrhundertwende ihre wirtschaftliche Grundlage: Der
landwirtschaftlich genutzte Boden belief sich auf rund 70.000 ha. Er befand
sich in den Händen von etwas mehr als 8000 Besitzern. 8,6 % waren
Ackerland, 20,6 % Wiese, 34,4 % Hutweide, 34,7 % Wald und 1,7 % andere
Kulturarten (nach Dr. Podlipnig, Kulturbeilage der Gottscheer Zeitung
Nr. 46/1973).
(Aus dem "Jahrhundertbuch der Gottscheer" von Dr. Erich Petschauer)
www.gottschee.de
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