2. Die Reaktion des Stabshauptamtes auf die Krise innerhalb der Volksgruppe

Die beiden grundverschiedenen Versionen über die Stimmung in der Volksgruppe waren deshalb von solch großer Bedeutung für das Stabshauptamt, weil es dadurch auf eine Diskrepanz zwischen seiner Grundauffassung und derjenigen der Volksgruppenführung hingewiesen wurde. Es stellte sich heraus, daß die Ausgangspositionen, von denen aus Dr. STIER und LAMPETER die Umsiedlung betrachteten, entscheidend voneinander abwichen: Da das Ziel der RKFDV-Stelle eine möglichst hohe Umsiedlerquote bei der "Wiedergewinnung deutschen Blutes" war, die Volksgruppenführung aber eine bestimmte Auslese bei der Umsiedlung anstrebte - die ihr auch grundsätzlich von HITLER und HIMMLER zugestanden war (15) -, ergab sich bereits aus diesen einander entgegenwirkenden Intentionen eine Interessenkollision, die sich nun angesichts der Spannungen zwischen alter und neuer Volksgruppenführung eindeutig zuungunsten der Absichten des RKFDV auswirken mußte. Um dieser Gefahr zu begegnen, wurde am 28. Oktober 1941 der DUB in Laibach gebeten, an Ort und Stelle den Auseinandersetzungen in der Volksgruppe sein Augenmerk zu widmen:

"Wie mir von verschiedenen Seiten bekannt wird, herrscht bei der deutschen Bevölkerung in der Gottschee nicht die Geschlossenheit, die zu einer allseitig befriedigenden Durchführung der Umsiedlung nötig wäre. Insbesondere scheint der alte Gegensatz zwischen der Volksgruppenführung .. . und dem früheren Volksgruppenführer Dr. A. wieder schärfer geworden zu sein. Von der jetzigen Volksgruppenführung wird mir mitgeteilt, daß Dr. A. nicht umsiedeln wolle und offenbar auch Propaganda gegen die Umsiedlung betreibe. Von anderer Seite habe ich wiederum erfahren, daß gerade Dr. A. derjenige sei, der viele Schwankende an die Verantwortung gegenüber Deutschland ermahne." (16)

Das Stabshauptamt befand sich also hinsichtlich einer richtigen Einschätzung der Verhältnisse in der Gottschee in einem Dilemma: einander völlig widersprechende Berichte standen sich gegenüber, wobei jedoch beide Darstellungen die Gefährlichkeit der Situation für die Ziele des RKFDV aufwiesen; denn der Mannschaftsführer hatte ja 5% Umsiedlungsunwillige bereits zugegeben, und Dr. ELLMER hatte von "manchen" - wohl eher untertreibend - gesprochen. Die Hauptsorge des Stabshauptamtes kulminiert dann auch in dem Satz: "Auf keinen Fall dürfen innervölkische Schwierigkeiten dazu führen, daß ein Teil der Volksdeutschen von der Option zurückgehalten wird." (17)

Die RKFDV-Stelle in Berlin hatte klar erkannt, wozu der immer stärker werdende Streit voraussichtlich führen werde: die junge Volksgruppenführung würde alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um die ihr widerstrebenden Kräfte der Volksgruppe von der Option auszuschließen. Und sie besaß ein sehr wirksames Mittel dazu in der Institution des "Volkstumssachverständigen" (18).

Die EWZ, die der Volkgruppenführung und deren radikalen Tendenzen wohlwollend entgegenkam, außerdem bei einer schnellen, reibungslosen Abwicklung ihrer "Schleusung" auf die Mitarbeit der "Volkstumssachverständigen" angewiesen war, hinderte nämlich anfangs die junge Gottscheer nationalsozialistische Führungsgruppe nicht daran, Dr. ARKO und seinen Anhängern die Umsiedlung zu verweigern. Diese Tatsache bedeutete nun aber die höchste Alarmstufe für das Stabshauptamt in Berlin. Dr. STIER erschien daraufhin sofort in der Gottschee, "um dort aufgetretene Schwierigkeiten zu bereinigen" (19) . Am 13. November 1941 (20) ließ sich Dr. STIER die vorläufigen Optionsergebnisse vorlegen, die seine Befürchtungen noch übenrafen.

Die Statistiken der EWZ enthüllten ein auffallend niedriges Optionsergebnis gegenüber den gehegten Erwartungen; das war um so bedrohlicher, als die Optionsfrist bereits am 20. November 1941 ablief und damit dreiviertel der Optionszeit schon verstrichen war. Im einzelnen mußte der Sachbearbeiter des Stabshauptamtes konstatieren: In den Außenbezirken der Gottschee war die Umsiedlungswilligkeit ausgesprochen schwach: Beim Sturm Go 24 (Suchen) und beim Sturm Go 14 (Pöllandl) waren 20-25% der Option ferngeblieben. Es fiel auch die bis dahin schwache Beteiligung an der Option im Sturmbereich Go 4 (Rieg) auf. Hier betrug der Prozentsatz der Umsiedlungsunwilligen ebenfalls 20-25%. Im Zentrum der Gottschee herrschte teilweise eine ähnliche Situation. Bei Go 2 (Mitterdorf), dem zahlenmäßig stärksten Sturm, waren knapp 20%, bei Sturm Go 7 (Grafenfeld) 20-25%, bei Go 5 (Nesseltal) etwa 12% und schließlich bei Go 1 (Stadt Gottschee) 10% Nichtumsiedlungswillige festzustellen.

Bei der Auswertung dieser Ergebnisse mußte folgendes ins Gewicht fallen:

1. Von 25 Stürmen bei sieben unbefriedigende Ergebnisse;
2. Von diesen 7 Stürmen gehörten 3 zu den 5 zahlenmäßig weitaus stärksten Stürmen der Gottschee!
3. Von rund 5000 - etwa 40% der Bevölkerung - bereits durchgeschleusten Personen sollen etwa ein Zehntel nicht     im Ansiedlungsgebiet untergebracht werden, ein Beweis dafür, daß die Volksgruppenführung bis zu diesem     Zeitpunkt ihre elitären Vorstellungen durchgesetzt hatte.

Dieses Dr. STIER alarmierende und deprimierende Resultat kurz vor Abschluß der Option hat mehrere Ursachen und ist verschieden aufzuschlüsseln:

1. In den Außenbezirken des Westens und Ostens (Suchen und Pöllandl) ist die mangelnde Optionswilligkeit wohl     einerseits auf die verwandtschaftlichen Bindungen an Slowenen, andererseits aber auch auf die wirksame     Propaganda der "zwischen-siedelnden" Slowenen zurückzuführen, die den Gottscheern, falls sie umsiedeln     sollten, Tod und Verderben in der neuen Heimat ankündigten und androhten (21).
2. In den Kerngebieten des Gottscheer Landes ist es nicht überraschend zu beobachten, daß überall dort, wo     oppositionelle Pfarrer residierten, die Zahl der Umsiedlungswilligen rapide abfiel. Dazu gehören die Ortsbezirke     Rieg (Pfarrer Kraker als Exponent des geistlichen Widerstandes), und Mitterdorf (Pfarrer Eppich als Sprecher der     Gottscheer Pfarrerschaft); in Grafenfeld lebte als Seele des kirchlich geprägten Widerstandes der Lehrer i. R.     Joseph Perz, und in Nesseltal hatte sich bis zu seinem Tode am 1. Juli 1941 Pfarrer Schauer gegen die     Umsiedlung gewandt - auch hier war also selbst nach 4 1/2 Monaten noch ein Nachhall der Pfarrerautorität zu     spüren.
3. In der Stadt Gottschee schließlich hatte offensichtlich die Unzufriedenheit der Bürger eine Rolle gespielt.

Über diese, auf einzelne Stürme des Gottscheerlandes speziell zutreffenden Gründe hinaus wird allgemein noch ein wichtiges Motiv hinzugekommen sein: ein weit verbreitetes Gefühl der Unsicherheit und Ungewißheit über das, was die Gottscheer in der Zukunft konkret erwartete; denn trotz aller großen Versprechungen wußte bis zu diesem Zeitpunkt außer der Führungsgruppe mit Gewißheit niemand, wo nun das künftige Ansiedlungsgebiet der Gottscheer liegen und unter welchen Bedingungen man dort leben würde. Das mußte sich psychologisch in Unentschlossenheit niederschlagen.

Im ganzen hatte sich also eine völlige Fehleinschätzung der Lage durch den Mannschaftsführer herausgestellt.

Diese Analyse des für die Ziele des Stabshauptamtes katastrophalen Zwischenergebnisses veranlaßte Dr. STIER zu sofortigem Handeln:

1. Die sogenannten Volkstumssachverständigen bei der EWZ - zwei Angehörige der Volksgruppenführung - mußten     ihre radikalen Auslesekriterien revidieren.
    a) Alle Angehörigen aus Mischehen wurden nur zur Option zugelassen;
    b) Auch die der Volksgruppenführung in Opposition Gegenüberstehenden durften jetzt optieren.

Dr. STIER kommentierte retrospektiv diese Zurechtweisung der Volksgruppenführung:

"Eine gewisse Eigenmächtigkeit der Volksgruppenführung war es auch, daß sie Gottscheer nicht zur Option zulassen wollte, die sich gegen die Volksgruppenführung gestellt hatten und allzu enge Beziehungen zu Slowenen unterhielten. Durch diese Haltung der Volksgruppenführung wäre deutsches Blut in der Gottschee geblieben, wenn nicht durch meine energischen Aufklärungen diese Haltung der Volksgruppenführung noch kurz vor Beendigung der Optionsfrist geändert worden wäre." (22)

Logischerweise mußte der Vertreter des Reichskommissariats für die Festigung deutschen Volkstums den Akzent auf die Wiedegewinnung "deutschen Blutes" legen, eine Haltung, die den elitären Vorstellungen des Mannschaftsführers gegenüber der Volksgruppe nicht angemessen sein konnte.
2. Darüber hinaus wurde sofort eine groß angelegte Propagandaaktion gestartet, um die noch Umsiedlungsunwilligen     in letzter Minute zur Option zu bewegen. Diese Maßnahmen wurden der Bevölkerung als Aufklärung über Um- und     Ansiedlung nahegebracht. Denn Dr. STIER hatte ja bereits seit langem (23) als einen Hauptgrund für die     Mißstimmung in der Gottschee die Ungewißheit über die konkreten Verhältnisse im künftigen Ansiedlungsgebiet     erkannt:

"Belastend für die Stimmung wirkte insbesondere, daß von der Volksgruppenführung auf Bestreben des Mannschaftsführers LAMPETER das neue Siedlungsgebiet geheimgehalten wurde. Der Mannschaftsführer LAMPETER erklärte mir, er könne das neue Siedlungsgebiet nicht bekanntgeben, denn ein großer Teil der Gottscheer kenne dieses Gebiet und wisse, daß die Höfe und Häuser dort in einem sehr schlechten Zustand wären. Auf mein Vorhalten, daß Enttäuschung schlimmer wäre als aufrichtige Erklärung der Zustände, meinte er, daß es zur Aufklärung immer noch Zeit sei, nachdem die Option abgeschlossen sei. Auch die Tatsache, daß die Unterbringung eine einstweilige und eine Neuplanung und ein Neuaufbau des Siedlungsgebietes vorgesehen ist, wollte der Mannschaftsführer nicht den Gottscheern bekanntgeben, da er eine Beunruhigung der Bevölkerung durch die Darlegungen befürchtete." (24)

Dr. STIER deckte nun schonungslos die schwache Position des Mannschaftsführers gegenüber der Bevölkerung auf: LAMPETER meinte, sich rückhaltlose Aufklärung über das künftige Ansiedlungsgebiet nicht erlauben zu können. Er versuchte daher offenbar durch Verschweigen unangenehmer Tatsachen das Optionsergebnis manipulieren zu können, hatte aber gerade dadurch fast das Gegenteil erreicht. - Vergleicht man LAMPETERS Argumentation gegenüber Dr. STIER mit der Berichterstattung an die EWZ und mit den Posaunentönen in der "Gottscheer Zeitung", dann läßt sich für das Verheimlichen des Ansiedlungsgebietes wohl nur Furcht vor negativen Reaktionen der Volksgruppe als Motiv anführen, während demgegenüber sowohl die geheimen Berichte an die EWZ als auch die Zeitungspropaganda - dies ist eher zu verstehen - sich als Prahlerei entpuppten. Der Mannschaftsführer zollte der Gottscheer Bevölkerung doch in der Weise Respekt, als er ihr gesunden Menschenverstand bescheinigte, während er durch eine Überschätzung seiner Autorität gegenüber der Volksgruppe einer Selbsttäuschung erlegen war, als deren Folge nun die Umsiedlungspläne ernsthaft gefährdet waren.

Dr. STIER hatte diese für den Mannschaftsführer peinliche Lage erkannt und veranlaßte darauf die ihm nötig erscheinenden Schritte. In Zusammenarbeit mit dem DUB Dr. WOLLERT nahm er für die Zeit seines Aufenthaltes (9.-17. November 1941) die Zügel energisch in die Hand.

Im Mittelpunkt der von Dr. STIER inszenierten "Aufklärungsaktion" stand ein Aufruf an die Bevölkerung, der am 17. November 1941 außerhalb der üblichen Folge in einer Sondernummer der "Gottscheer Zeitung" erschien. Dieser Aufruf war nicht von der Volksgruppenführung, sondern vom deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten Dr. WOLLERT unterzeichnet und besaß dadurch das Gewicht einer quasi amtlichen Verlautbarung. Darin wurden die nach Ansicht der Offiziellen brennenden Sorgen der Gottscheer aufgegriffen und anscheinend erschöpfend erörtert. Die Beantwortung dreier fiktiver Fragen bildet den Kern der Darlegungen (25):

"Was erwartet Euch in der neuen Heimat? Dies ist nunmehr die Frage all derer, die ihre Verwandten und Freunde abfahren sehen, ohne selbst schon mitreisen zu können.
Grundsatz bei jeder Umsiedlung ist: Der Umsiedler erhält für seinen zurückgelassenen Besitz im Umsiedlungsgebiet einen Besitz von gleichem Wert. Das bedeutet, daß ein Gottscheer Bauer, der hier einen Hof hinterläßt, auf dem er gut und auskömmlich leben konnte, auch im neuen Siedlungsgebiet einen Hof bekommen wird, auf dem er sein gutes Auskommen findet. Es bedeutet aber auch, daß ein Bauer, der hier durch die Ungunst der Verhältnisse gezwungen war, auf einem Hofe zu leben, der für ihn und seine Familie keine auskömmlichen Lebensgrundlagen bot, diese im neuen Siedlungsgebiet finden wird. Ziel der Umsiedlung ist, ein gesundes Bauerntum auf auskömmlicher Ackergrundlage zu schaffen. Wer fähig ist, einen Bauernhof zu bewirtschaften, wird also die Möglichkeit haben, sich heraufzuarbeiten und sich den Hof zu schaffen, der ihm und seiner Familie bessere Lebensbedingungen ermöglicht.."

In nüchterner Sprache werden den Gottscheern goldene Berge versprochen. Dagegen ist nirgendwo z. B. von einer Auslese der Bauern die Rede.

Doch der Pferdefuß ist in dieser "Aufklärung" - wenn auch in unauffälliger Weise versteckt - enthalten: "Wer fähig ist, einen Bauernhof zu bewirtschaften, . . .". Natürlich hielten sich alle Bauern für fähig; deshalb mochte kaum einer ahnen, daß bereits detaillierte Planungen der eigenen Volksgruppenführung darüber vorlagen, in denen einem guten Drittel die Bauernfähigkeit abgesprochen wurde.

"Die 2. Frage, die Ihr Euch vorlegen werdet, ist die: Wie sieht das neue Ansiedlungsgebiet für die Gottscheer Volksgruppe aus? Durch Befehl des Reichsführers-SS ... ist auf Vorschlag des Gauleiters ... der Steiermark das sogenannte Ranner Dreieck, ein Streifen an der unteren Save, der Gurk und des Sattelbachs, für die Ansiedlung bestimmt worden. Es ist ein zusammenhängendes, in sich geschlossenes Siedlungsgebiet, das durch ein fruchtbares Flußtal gebildet wird. Berge und Hügel, auf denen der Weinbau betrieben wird, umgeben dieses Gebiet und schützen es vor kalten Witterungseinflüssen. Der Mittelpunkt dieses Gebietes ist die Stadt Rann. Die früheren Bewohner dieses Gebietes sind in aller Ordnung umgesiedelt und werden ebenfalls vom Deutschen Reich betreut. Abgesehen davon, daß diesen Bewohnern volle Entschädigung des hinterlassenen Vermögens zugesichert ist, beweisen Briefe und Berichte dieser Menschen, daß sie in ihrem neuen Siedlungsgebiet gut untergebracht sind und hoffnungsfroh ihrer Zukunft entgegensehen."

Zum erstenmal wird das künftige Ansiedlungsgebiet offen und genau umrissen und bekanntgegeben (26). Den über das Schicksal der ursprünglich dort ansässigen Slowenen besorgten Gottscheern wird versichert, daß für die ehemaligen Bewohner in angemessener Weise gesorgt sei. - Später erst sollten Gottscheer manchmal über das wahre Schicksal der Ausgesiedelten erfahren (27); denn die Slowenen wurden in Lagern untergebracht und nicht "im neuen Siedlungsgebiet".

Als interessant an dieser Darstellung erscheint noch, daß der Absatz, in dem das Los der Slowenen angedeutet wird, im ursprünglichen Entwurf des DUB nicht enthalten war, sondern erst später hinzugefügt wurde, wahrscheinlich weil sich die Bedenken vieler Gottscheer Bauern während der Optionszeit noch verstärkt hatten. Mit dem Hinweis auf die "großzügige Neuplanung" des Ansiedlungsgebietes und dem Versprechen "mit großzügigster Unterstützung" des Staates wurde im wahrsten Sinne des Wortes Bauernfängerei getrieben.

"Die 3. Frage, die Ihr Euch stellt, ist die nach der sofortigen Unterbringung bei Ankunft im neuen Siedlungsgebiet. Die Auswahl der neuen Höfe erfordert sorgfältigste Vorbereitung. Hierbei wird von den Ansiedlungsstäben angestrebt, auch weitgehendst die besonderen Wünsche der Umsiedler zu berücksichtigen. Bei der Bedeutung dieser Aufgabe, deren Auswirkung sich auf Jahrzehnte und Jahrhunderte erstrecken wird, ist es nicht möglich, dem Umsiedler die fertige Lösung bereits bei seiner Ankunft vorzulegen. Es wird also zunächst nicht immer möglich sein, den Umsiedler sofort bei seiner Ankunft auf dem Besitz unterzubringen, der seinen Fähigkeiten und seinem hinterlassenen Vermögen entspricht. Andererseits ist im Interesse der Umsiedler, wie auch zur Vermeidung von Arbeitskraft- und Zeitvergeudung ein Lageraufenthalt nicht vorgesehen. Demzufolge wird ein Teil der Umsiedler zunächst einen Betrieb zugewiesen erhalten, der dem bisherigen nur ungefähr entspricht. Hier kann der Umsiedler sofort mit der Arbeit beginnen. Stellt sich dann im Laufe des Winters heraus, daß dieser vorläufig angewiesene Hof den Fähigkeiten und dem Wert des hinterlassenen Vermögens des Umsiedlers nicht entspricht, so erfolgt eine Umbesetzung derart, daß der Bauer im Frühjahr seinen neuen Acker bestellen und seinen Hof endgültig übernehmen und bewirtschaften kann. Die in Aussicht genommene Zwischenbewirtschaftung und zwischenzeitliche Unterbringung erfolgt also ausschließlich im Interesse der Umsiedler, um Fehlentscheidungen, die sich für die Dauer ungünstig auswirken müßten, unter allen Umständen zu vermeiden."

In der Antwort auf die dritte Frage setzt sich der schon vorher angestimmte Tenor fort. Es wird so getan, als ob die Ansiedlungsstäbe individuelle Wünsche berücksichtigen wollten. Der DUB räumt zwar ein, daß anfangs nicht schon "fertige Lösungen" geboten werden könnten, doch wird dieser kleine Fehler mit der Wendung "im Interesse der Umsiedler" gleich wieder abgeschwächt.

Im ganzen wird an die Umsiedler appelliert, Startschwierigkeiten in Kauf zu nehmen, da es sich ja bei der Ansiedlung der Gottscheer Volksgruppe um eine bewunderungswürdige Tat nationalsozialistischer Volkstums- und Siedlungspolitik von historischen Dimensionen handle, "deren Auswirkung sich auf Jahrzehnte und Jahrhunderte erstrecken wird."

Nach der Erörterung dieser drei die Praxis der Ansiedlung betreffenden Fragen kommt der DUB zum eigentlichen Kern, dem letzten Aufruf zur Option. Einleitend beginnt es mit dem Eingeständnis, daß die Optionswilligkeit der Gottscheer zu wünschen übrig läßt; aber es wird versucht, durch die Formulierung "Nur wenige Zauderer und Unentschiedene stehen noch beiseite" die Optionsunwilligen als eine unbedeutende Gruppe hinzustellen. Doch die dann folgende Argumentation mit ihrem drohenden Unterton verrät die Nervosität und Beunruhigung über das bisherige Optionsergebnis:

"Es wird aber darauf hingewiesen, daß diese Frist [Optionsfrist] endgültig ist ... Die Umsiedlung wird durchgeführt, um die Volkstumsverhältnisse in diesem Gebiet . .. endgültig zu bereinigen. Es wird somit später keine Gelegenheit mehr geben, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben."

Diejenigen, die es anging, konnten aus diesem Passus des Aufrufs nichts anderes als eine unverhüllte Drohung herauslesen. Der Ausweg, das Kriegsende abzuwarten und dann unter normalen Bedingungen eventuell umzusiedeln, wurde damit den Skeptikern unter den Gottscheer Bauern endgültig versperrt. Von jetzt an gab es nur noch ein Entweder-Oder.

Was es aber angesichts der immer stärker werdenden Partisanentätigkeit in den kroatischen Gebieten südlich und östlich der Gottschee und in dem von den Italienern annektierten Teil Sloweniens nördlich und westlich der Gottschee und der feindseligen Haltung der italienischen Verwaltung gegenüber den Volksdeutschen bedeuten würde, wenn eine Minderheit der Gottscheer in der ohnehin bereits früher dünn besiedelten Waldlandschaft zurückblieb, das konnte mit ein wenig Phantasie sich ein jeder ausmalen.

Den Umsiedlungsunwilligen war drei Tage vor Ablauf der Optionsfrist - und dieses Mal von offizieller reichsdeutscher Stelle - in aller Deutlichkeit vor Augen geführt worden, daß sie sich jetzt sofort entscheiden müßten.

Angesichts einer scheinbar sicheren Zukunft im "Reich" und eines völlig Ungewissen Schicksals in der alten Heimat gab es für den realistisch denkenden Gottscheer jetzt nur noch die eine Lösung: Umsiedeln. Aber erst mit "Zuckerbrot und Peitsche" hatte man diese Entscheidung den Skeptikern unter den Gottscheern abringen können.
Mit diesem Eingreifen der RKFDV-Zentrale und des DUB hatte zugleich die langanhaltende Krise in der Volksgruppe einen vorläufigen Abschluß gefunden. Die Volksgruppenführung mußte auf ihre ursprüngliche Absicht - Ausstoßen der ihr nicht willfährigen Gottscheer aus der Volksgruppe - wenigstens vorläufig verzichten. Es hatte allerdings der Intervention von höchster Stelle bedurft, um die Pläne der Volksgruppenführung zu vereiteln. Deshalb blieben auch die gegenseitigen starken Ressentiments zwischen alter und neuer Volksgruppenführung bestehen, und erst die Folgezeit konnte zeigen, ob die beteiligten Stellen bei dieser ohnehin mit politischen und psychologischen Schwierigkeiten behafteten Umsiedlung jener latenten Spannungen immer Herr bleiben würden; denn es hatte sich klar erwiesen, daß die Radikalität der volkspolitischen Vorstellungen ebenso wie die zu ihrer Realisierung angewandten Methoden die Volksgruppenführung in Konflikte nicht nur mit Teilen der Volksgruppe, sondern auch mit dem RKFDV und dessen untergeordneten Dienststellen geraten ließ.

Die Stellung der Volksgruppenführung hatte sich während der "Schleusung" gegenüber der Zeit davor wesentlich geändert. Vor dem 20. Oktober 41 war die Volksgruppenführung das eigentlich in Erscheinung tretende Exekutivorgan für die Gott
scheer gewesen, das nur gewissen hoheitlichen Beschränkungen durch die Italiener unterlag. Praktisch hatte jedoch die Volksgruppenführung das Zusammenleben der Gottscheer seit der Auflösung des jugoslawischen Staates bestimmt.

Diese Konstellation hatte sich aber während der "Schleusung" gewandelt. Die Volksgruppenführung arbeitete nun als Hilfsorgan unter der Leitung reichsdeutscher Dienststellen weitgehend bei der technischen und wirtschaftlichen Abwicklung der Umsiedlung mit. In der letzten Phase der Optionszeit waren sehr deutlich die Grenzen der Volksgruppenführung aufgezeigt worden: das Stabshauptamt hatte das von HITLER zugestandene Recht auf Auslese eigentlich aufgehoben; denn nur durch das Eingreifen von Stabshauptamt und DUB konnte die Zahl der Optionswilligen im Sinne des Reiches gegen den Willen der Volksgruppenführung befriedigend erhöht werden.

Dennoch war das Stabshauptamt geneigt, trotz aller Schwierigkeiten mit der Volksgruppenführung dieser einen Status zuzugestehen, der es der Gottscheer Führungsgruppe erlaubte, das Gesicht gegenüber der Volksgruppe zu wahren: "Bis zur Abwicklung der Umsiedlung wird der Volksgruppenführung ein beschränktes Eigenleben mit beschränkten eigenen Mitteln zugebilligt werden können." (28)

Nur noch eine kurze Zeit war aber das Stabshauptamt bereit, seine schützende Hand über die Volksgruppenführung zu halten. Was sollte danach geschehen?

Die Volksgruppenführung war optimistisch. Man hatte ihr versprochen, daß LAMPETER zum Kreisführer des Steirischen Heimatbundes ernannt würde, was praktisch die politische Verfügungsgewalt über den weitaus größten Teil der Gottscheer bedeutet hätte; denn er konnte danach annehmen, daß er bei der Besetzung aller wichtigen Ämter und Posten des für die Ansiedlung der Gottscheer bestimmten Kreises der Südsteiermark hätte mitsprechen können.

Aus der Bilanz der bisher geleisteten Volkstumsarbeit, die man in der letzten Nummer der Gottscheer Zeitung am 3. 12. 41 zog, glaubte die Volksgruppenführung das Recht ableiten zu können, die Gottscheer könnten als geschlossene Volksgruppe weiter ein Eigenleben im Rahmen des "Großdeutschen Reiches" führen. Das sollte sich jedoch schon bald als eine Illusion erweisen, deren Zerstörung wegen der hochgespannten Erwartungen sich für die jungen Volksgruppenführer katastrophal auswirken mußte.

Die Bilanz der Volksgruppenführung nach dem Abschluß der Option hätte ihr eigentlich zu denken geben müssen:

Es war nur unter Aufbietung aller Kräfte und durch den Einsatz aller - auch fremder - Mittel gelungen, ihre Stellung und ihr Prestige einigermaßen zu wahren:

nach innen war der Kampf um die Zustimmung der Volksgruppe gegen die Pfarrer und die bürgerliche Opposition härter gewesen, als die jungen Nationalsozialisten es ursprünglich vermutet hatten;
nach außen hatte die Auseinandersetzung um die Ausleseprinzipien mit dem Stabshauptamt sogar zu einer Niederlage geführt, die allerdings vor der Masse der Gottscheer verheimlicht werden konnte.

Jetzt aber begann sich am Horizont bereits deutlich ein Konflikt mit dem Gauleiter und dessen Behörden abzuzeichnen.

Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen, Hans Hermann Frensing, 1970

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Anmerkungen :

15  
s. o. S. 41. Die Aufgaben der Volkstumssachverständigen wurden aufgrund des von der SS anerkannten Prinzips der "Eigenauslese" im Rahmen der EWZ ausgeübt.

16
 Schreiben Dr. STIERS am 28. 10. 1941 an Dr. WOLLERT; Handakte Dr. Stier.

17
 ebda.

18
 s. S. 91, Anm. 15.

19
 Vermerk von Dr. STIER vom 24. 1. 42: Betrifft Tätigkeit der Gottscheer Volksgruppenführung, Handakte Dr. Stier. Dr. STIER schwächt seine Kritik jedoch ab, wenn er das Verhalten der Volksgruppenführung so motiviert: "Diese Haltung der Volksgruppenführung ergibt sich in gewissem Sinne zwangsläufig aus der Kampfstellung, die jede Führung einer deutschen Volksgruppe zu den Lauen und Schwachen ihrer Volksgenossen einnehmen muß."

20
 Bericht der EWZ-Kommission Sonderzug vom 16. 11. 41 an EWZ-Litzmannstadt (Abschrift); NAW Roll 306, frame 2433884 f.; "Aufstellung der EWZ-Kommission Sonderzug über die Zahlen der Volksdeutschen ..., der Optanten . .., der Durchschleusten .. " NAW Roll 306, frame 2433862.

21
 s. o. S. 74 f. Die Parolen des Flugblattes der slowenischen KP zur Umsiedlung der Gottscheer.

22
 Vermerk von Dr. STIER vom 24. l. 42; Handakte Dr. Stier.

23
 s o. S. 86: Schreiben Dr. STIERS vom 2. 10. 41 an den DUB, Handakte Dr. Stier; ebenso Schreiben vom 28. 10. 41 an den DUB; Handakte Dr. Stier: "Ich bitte dafür Sorge zu tragen, daß durch Aufklärung über das zukünftige Schicksal der Umsiedler jedes irgendwie auftauchende Unsicherheitsgefühl verschwindet..."

24
 Vermerk von Dr. STIER vom 24. 1. 42; Handakte Dr. Stier.

25
 Gottscheer Zeitung Nr. 47, Jg. 38 vom 17. 11. 1941.

26
 Viele Bauern wußten bei Abfahrt noch nicht, wohin es ging. Bericht des Landwirts K. R. ... in: Dok. d. Vertreibg. a.a.O. Bd. V, S. 33. Wenn hier und im folgenden vom "Ranner Dreieck" die Rede ist, so ist dieser Ausdruck insofern nicht ganz richtig, als nicht nur das von Sawe und Sotla (Sattelbach) eingeschlossene Dreieck für die Ansiedlung der Gottscheer bestimmt wurde, sondern auch der südlich der Sawe gelegene, zu Unterkrain gehörige und 1941 vom Deutschen Reich besetzte Gurkboden.

27
 s. o. S. 61, Anm. 40.

28
 Schreiben Dr. STIERS vom 19. 11. 1941 an den DUB; Handakte Dr. Stier.

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