Geburtsplatz ihrer Vorfahren - Helmut Ploebst

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Geburtsplatz ihrer Vorfahren - Helmut Ploebst

Beitrag von Forum 2002 - 2013 »

Abgeschickt von Helmut Ploebst am 01 Oktober, 2002 um 03:58:13:

Was ist jungen Gottscheer Abkömmlingen der Geburtsplatz ihrer Vorfahren
Wiener Journal, Okt 94.
Von Helmut Ploebst


Ich bin ja kein “Teutscher”. Obwohl meine Familie mütterlicherseits aus Gottschee stammt und such von dort aus in einige Länder verstreut hat. Wir haben verwandte sozusagen in der ganzen weiten Welt in Klagenfurt, in München, in New York. Ich selbst aber stamme aus Leoben, dem “Gewitterwinkel des europäischen Reiseverkehrs”. Sogar dahin hat es Gottscheer verschlagen, uns, den Fleischer Skiber, das Ehepaar Fivolt selig, den Herrn Schuldirektor Hoegler, einige namens Perz, um nur wenige zu nennen. Doch auch in Wien weiß ich Namen, die genannt werden konnten.

Nie werde ich mein angeregtes Kinderspiel mit den Klebegummiflaschen vergessen, mit deren Hilfe die “Gottscheer Zeitung” von mehreren nicht mehr ganz taufrischen Damen in der Wohnung meiner Großeltern, die noch praktizierende Gottscheer waren, “eingeschleift” wurden. Auch die etwas steifen alterern Herrn nicht, mit welchen mein Großvater äußerst wichtig zu reden pflegte. Niemals endlich die Messen in der Gottscheer Gedenkstätte zu Mariatrost bei Graz!

Als ich 1985 das heutige Kočevje zum ersten und einzigen Mal besuchte, sah ich sofort “God Save the Queen” an eine Wand gemalt. Ich war beeindruckt. Wir gingen durch den Ort, entdeckten das Stammhaus der Familie großmütterlicherseits, der Tschinkel's, heute ein Pensionistenheim, und das Haus, in dem Großonkel Herbert in der Badewanne umgekommen war. Mir wurde mir sofort klar: a) Hier stehst du an der Wiege deiner Geschichte und b) in diesem Winkel habe Züge Seltenheitswert.

Gottscheer Herzen

Gut, meine engere Familie was nach dem einstigen Exodus der Gottscheer nicht im Big Apple oder in München gelandet, sondern in jenem Ort, den schon Herzmanovsky-Orlando bespöttelt hat, aber ich bin immer noch weniger abgeschieden geboren, als ich es in Kočevje gewesen wäre.

In New York habe ich meine Cousine zweiten Grades, Michelle Tirado, ihr Väter ist Puertoricaner, die Mutter Gottscheerin, kennengelernt. Wir haben uns auf den zweiter Anhieb ineinander verliebt; die Frage, ob sich der halbe Steirer in mir und die Puertoricanerin in ihr oder unsere beiden Gottscheer Hälften angezogen haben, können wir trotz angestrengten Sinnens nicht beantworten.

Ich besuchte Paul Tschinkel - seinen Verwandtschaftsgrad zu mir habe ich vergessen, er hatte zur der Zeit ein trendy Loft in SoHo und mit einer Schottin ein Kind. Mein Cousin Arnold, beide Eltern reine Gottscheer, hat mit seiner Frau polnisch -gottscheerische Zwillinge.

Meine Familie väterlicherseits wiederum stammt aus Knittelfeld. Das zeigt: Es ist die Mischung, die uns Jung-oder Postgottscheer freut.

Es gibt in New York alljährlich ein Gottscheer Treffen. Und es ist bei traditionsbewussten Gottscheer Eltern gern gesehen, wenn ein Gottscheer eine Gottscheerin heiratet. Die alljährlich gewählte Miss Gottschee ist natürlich besonders begehrt.

Michelle, Arnold, Paul und ich sind mit anderen Problemen beschäftigt. Uns sind Folkloren aller Art fremd. Michelle meinte, als wir unsere beide Hälften deutschsprachigen Balkans durch Wiens spazieren führten: “Es gibt zu wenig Black People in dieser Stadt”. Und sie wurde hier gern eine Zeitlang leben. Wie soll man ihr das österreichische Ausländergesetz erklären?

Das Freundliche an des Gottscheerseligkeit ist, daß es keine Machtansprüche stellt, daß es keine vermeintlichen Großen anhimmeln kann - mir ist kein Genie bekannt, das von dort stammt -, daß die Bewahrung ihres “Kulturerbes” nur einen Beitrag zur Buntheit kultureller Vielfalt leistet. Und daß es auch ein wenig von der Normalität des Indieweltlaufens zeigt.

Blamage des Geschichte

Als die Gottscheer seinerzeit “ins Reich heimgeholt” wurden, war es ein Umvolkungsbetrug an Menschen, die gut dort gelebt haben, wo sie waren, deren Exodus, der ihnen Hab und Gut genommen hat, ihnen nichts gebracht hat, außer den Jammer des Entwurzelung.

Im Vergleich zu dem, was heute in Jugoslawien geschieht, ist das Schicksal der von den Kräften der Geschichte” herumgeschupften Gottscheeer harmlos. Die Kräfte des Geschichte Europas gerieten ja immer zur Blamage, auch dort, wo nicht viel Muskelspiel nötig war.

Europäer können sich nicht auf ihre “stolze” Geschichte berufen, allenfalls auf die Lehren, die sie daraus hatten ziehen können. Eine davon wäre das Axiom, daß Minderheiten, welche und wo auch immer, liebevoll zu behandeln sind.

Wir in Osterreich können unsere europäische Gaeschichtsblamage in fruchtbare Lehre umwandeln - indem wir unsere chinesischen, türkischen, serbokroatischen, slowenischen, schwarzen oder Sinti-Roma Minderheiten fordern, akzeptieren und sein lassen, was sie wollen. Eben anders als Michelle, Arnold, Paul und ich, deren Luftwurzeln mit Heimat und Scholle nicht in Berührung kommen mochten.

Osterreich hat Platz für viele Inländer, für steirisch-gottscheerische, für puertoricanisch-gottscheerische und für all die anderen, wenn sie unser Land für gut genug halten, darin zu leben. Es gab kein größeres Kompliment für Osterreich, als dar, fur ein Einwanderungsland gehalten zu werden. Und für fähig, seine Gewohnheiten den Bedürfnissen der Minderheiten anzugleichen. Politik, die dem widerspricht, ist ein Sumpf. Und den werden wir trockenlegen.
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