Die sterbenden Europäer von Karl-Markus Gauß. - Beobachter
Verfasst: Mo Feb 13, 2023 5:43 pm
Abgeschickt von Beobachter am 24. September, 2002 um 20:26:55:
Auszug aus "Die sterbenden Europäer" von Karl-Markus Gauß. © Paul Zsolnay Verlag, Wien 2001.
. . . .Von Göttenitz gibt es ein berühmtes Foto, das in Dutzenden Büchern reproduziert wurde. Es zeigt den ganzen Ort, angetreten im Dezember 1941, Frauen mit weißen Kopftüchern, Männer in schwarzen Winterloden, Jugendliche, ihre kleinen Geschwister an der Hand, wie er sich auf dem Friedhof versammelte, um Abschied von den Generationen zu nehmen, die in Göttenitz gelebt und ihren Tod gefunden hatten. Die Familien standen um die Gräber ihrer Vorfahren, denn es was der Tag ihrer Abreise, noch nicht das tödliche Ende vom Ende, aber schon ein Tag des Verderbens, des Verrats, der Verzweiflung. Sie folgten dem Ruf, der sie von Berlin erreicht hatte, einem Ruf, mit dem einige Verblendete nationalsozialistische Propagandisten unter ihnen seit Monaten die Bevölkerung aufgescheucht, verunsichert, entmutigt hatte: Heim ins Reich!
Allerdings, jetzt muß es gesagt werden: Es gab eine Schar junger Nationalsozialisten, die innerhalb der Gottscheer Volksgruppe in wichtige politische Funktionen geputscht hatte und, zumeist gegen de heftigen Widerstand der Pfarrer, mit allen Mitteln versuchte, die Bevölkerung deutschnational zu beeinflussen und in straffen faschistischen Verbanden zu organisieren. Das diese nazistischen Gottscheer um den selbsternannten "Mannschaftsführer" Wilhelm Lampeter am Ende betrogene Betrüger waren und sie ihre Landsleute nicht heim ins Reich, sondern ins Verderben gelockt hatten, macht ihre Schuld nicht geringer, eine Schuld, die sie nach 1945 zumeist nicht einbekannten und in Österreich und Deutschland auf den Treffen der Heimatvertriebenen mit einigem antislawischen Lärm zu vertuschen suchten. Tatsächlich wurden die Gottscheer von den politischen Emissären aus dem "Reich" und der eigenen Führung brachial auf eine Aussiedlung eingeschworen, die so freiwillig nicht war.
Jenen, die noch zu bleiben gedachten, weil sie ihre Höfe in Gottschee nicht lassen wollten oder dem Führer mißtrauten, wurde der Untergang prophezeit: Wie sollten sie sich auch, war ihre Volksgruppe einmal abgezogen, ohne ihr gewohntes, soziales, kulturelles, sprachliches, ökonomisches Umfeld behaupten? Rettungslos wurden sie im Meer der Slowenen untergehen oder aber, regierten die Italiener hier erst nach ihrem eigenen Gutdünken, so wie die widerspenstigen Südtiroler nach Süditalien verschickt werden. So sagte man es ihnen, so dachten es wohl die meisten. Von den vielleicht 13,000 Gottscheern, die damals noch im Ländchen lebten, haben sich durch Druck und Zwang etwa 12,000 in die Aussiedlung gefügt; von Begeisterung konnte auch bei ihnen keine Rede sein - wer auch ließe seinen Hof, seine Dörfer, seine Toten, seine ganze Welt begeistert zurück?
Ich konnte den Friedhof von Göttenitz nicht mehr finden. Ich konnte Göttenitz nicht mehr finden. Etwa dort, wo im Dezember 1941 die Dorfbewohner vor den Gräbern standen, stieß ich in der nicht mehr existierenden Gemeinde auf zwei merkwürdige Gebäude. Auf der einen Seite stand ein altes Haus, dessen Verfall weit fortgeschritten war, auf der anderen eine architektonische kuriose, erst kürzlich geschlossene Großtankstelle von " Iskra Petrol ", die rasch in die Schäbigkeit witterte. Die letzte Ruine der Gottscheer Siedlung und die futuristische Ruine des realen Sozialismus beobachten einander, wie sie verfielen, eine jede für sich und beide zusammen, in dieser Einsamkeit.
Auszug aus "Die sterbenden Europäer" von Karl-Markus Gauß. © Paul Zsolnay Verlag, Wien 2001.
. . . .Von Göttenitz gibt es ein berühmtes Foto, das in Dutzenden Büchern reproduziert wurde. Es zeigt den ganzen Ort, angetreten im Dezember 1941, Frauen mit weißen Kopftüchern, Männer in schwarzen Winterloden, Jugendliche, ihre kleinen Geschwister an der Hand, wie er sich auf dem Friedhof versammelte, um Abschied von den Generationen zu nehmen, die in Göttenitz gelebt und ihren Tod gefunden hatten. Die Familien standen um die Gräber ihrer Vorfahren, denn es was der Tag ihrer Abreise, noch nicht das tödliche Ende vom Ende, aber schon ein Tag des Verderbens, des Verrats, der Verzweiflung. Sie folgten dem Ruf, der sie von Berlin erreicht hatte, einem Ruf, mit dem einige Verblendete nationalsozialistische Propagandisten unter ihnen seit Monaten die Bevölkerung aufgescheucht, verunsichert, entmutigt hatte: Heim ins Reich!
Allerdings, jetzt muß es gesagt werden: Es gab eine Schar junger Nationalsozialisten, die innerhalb der Gottscheer Volksgruppe in wichtige politische Funktionen geputscht hatte und, zumeist gegen de heftigen Widerstand der Pfarrer, mit allen Mitteln versuchte, die Bevölkerung deutschnational zu beeinflussen und in straffen faschistischen Verbanden zu organisieren. Das diese nazistischen Gottscheer um den selbsternannten "Mannschaftsführer" Wilhelm Lampeter am Ende betrogene Betrüger waren und sie ihre Landsleute nicht heim ins Reich, sondern ins Verderben gelockt hatten, macht ihre Schuld nicht geringer, eine Schuld, die sie nach 1945 zumeist nicht einbekannten und in Österreich und Deutschland auf den Treffen der Heimatvertriebenen mit einigem antislawischen Lärm zu vertuschen suchten. Tatsächlich wurden die Gottscheer von den politischen Emissären aus dem "Reich" und der eigenen Führung brachial auf eine Aussiedlung eingeschworen, die so freiwillig nicht war.
Jenen, die noch zu bleiben gedachten, weil sie ihre Höfe in Gottschee nicht lassen wollten oder dem Führer mißtrauten, wurde der Untergang prophezeit: Wie sollten sie sich auch, war ihre Volksgruppe einmal abgezogen, ohne ihr gewohntes, soziales, kulturelles, sprachliches, ökonomisches Umfeld behaupten? Rettungslos wurden sie im Meer der Slowenen untergehen oder aber, regierten die Italiener hier erst nach ihrem eigenen Gutdünken, so wie die widerspenstigen Südtiroler nach Süditalien verschickt werden. So sagte man es ihnen, so dachten es wohl die meisten. Von den vielleicht 13,000 Gottscheern, die damals noch im Ländchen lebten, haben sich durch Druck und Zwang etwa 12,000 in die Aussiedlung gefügt; von Begeisterung konnte auch bei ihnen keine Rede sein - wer auch ließe seinen Hof, seine Dörfer, seine Toten, seine ganze Welt begeistert zurück?
Ich konnte den Friedhof von Göttenitz nicht mehr finden. Ich konnte Göttenitz nicht mehr finden. Etwa dort, wo im Dezember 1941 die Dorfbewohner vor den Gräbern standen, stieß ich in der nicht mehr existierenden Gemeinde auf zwei merkwürdige Gebäude. Auf der einen Seite stand ein altes Haus, dessen Verfall weit fortgeschritten war, auf der anderen eine architektonische kuriose, erst kürzlich geschlossene Großtankstelle von " Iskra Petrol ", die rasch in die Schäbigkeit witterte. Die letzte Ruine der Gottscheer Siedlung und die futuristische Ruine des realen Sozialismus beobachten einander, wie sie verfielen, eine jede für sich und beide zusammen, in dieser Einsamkeit.